Objekt des Monats Dezember 2019

Der Rockefeller Center Christmas Tree in New York City

Unser Objekt des Monats zeigt den am 4. Dezember 2019 aufgestellten traditionellen öffentlichen Weihnachtsbaum in New York City. Seit die Stadt im Jahr 1931 erstmals mit dem "Christmas tree lighting" die  Weihnachtszeit einläutete, spiegelt der Baum auch die politischen und kulturellen Tendenzen der USA wieder. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs blieb der Baum unbeleuchtet, 1951 übertrug NBC erstmals die öffentliche Aufstellung des Baums in die amerikanischen Haushalte. Seit den 1970er Jahren diente das Holz anschließend zum Anlegen von Wanderwegen, seit 2007 für die Konstruktion von Holzhäusern für Sozialprojekte in Manhattan.

 

Wir wünschen allen unseren Studierenden, Kollegen und Kolleginnen mit diesem Baum ein schönes Weihnachtsfest und erholsame Tage "zwischen den Jahren"!

Objekt des Monats November 2019

„Die Mauer von Dassow“ Akte BStU, MfS, KD Grevesmühlen, Nr. 146.

Foto: BStU, MfS, KD Grevesmühlen, Nr. 146, Bd. 2, Bl. 11.

30 Jahre nach dem „Mauerfall“ ist die Öffnung der Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik wieder in aller Munde. Vielerorts finden Gedenkveranstaltungen statt und zahlreiche Medien beteiligen sich mit historischen Rückschauen. Häufig steht hierbei jedoch der 9. November 1989 in Berlin im Mittelpunkt und weniger in der vermeintlichen Provinz. Schon am selben Abend öffneten sich aber zum Beispiel auch die Schlagbäume zwischen dem mecklenburgischen Selmsdorf im DDR-Kreis Grevesmühlen und Lübeck-Schlutup in Schleswig-Holstein. In den folgenden Tagen bildete sich eine schier endlose Karawane ostdeutscher Kraftfahrzeuge in Richtung Lübeck. Dieser Rekordstau führte auch an Städten und Dörfern im DDR-Grenzgebiet vorbei, die für die meisten ostdeutschen Bürger bis dahin ohne Passierschein unerreichbar waren und damit eine Terra incognita bildeten.

Dazu gehörte ebenfalls die Kleinstadt Dassow. Nur rund zehn Kilometer von Lübeck entfernt, sah sich diese mecklenburgische Landstadt mit dem Ausbau der Grenzen zur DDR-Zeit von ihrer Umwelt abgeschlossen. Auch der Dassower See, direkt vor den Toren der Stadt gelegen, blieb für die Stadtbewohner gesperrt. Hierüber wachten die Grenztruppen, die Volkspolizei, das Grenzaktiv der Gemeinde, in der sich Bürgerinnen und Bürger zusammenfanden, um nach Flüchtlingen Ausschau zu halten und nicht zuletzt das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Die Stasi, „Schild und Schwert der Partei“, hatte auch ein gehöriges Wort bei der Errichtung der Grenzanlagen mitzureden, die das SED-Regime bis zu seinem Ende mehr und mehr perfektionierte. Das Ziel bestand darin, die Grenze um jeden Preis unüberwindbar für Flüchtlinge aus der DDR zu machen.

Ab Mitte der 1970er-Jahre wollten die Grenztruppen eine Grenzmauer entlang der Fernverkehrsstraße 105 in und bei Dassow errichten, um vorgeblich die Lage für ihre Soldaten an dieser Transitstrecke sicherer zu machen. Dagegen sträubten sich der Leiter der MfS-Kreisdienststelle Grevesmühlen und die Kreiseinsatzleitung, die unter der Führung des 1. Sekretärs der SED-Kreisleitung stand – unter anderem da sie die Reaktion der bereits durch Gerüchte alarmierten Bevölkerung befürchteten. Die Entscheidung fiel jedoch offenbar auf höherer Ebene zugunsten des Bauwerks, womit auch der Norden Mecklenburgs 1979 seine eigene drei Kilometer lange „Mauer“ erhielt. In einer ganzen Serie von Akten dokumentierte die Kreisdienststelle der Stasi Grevesmühlen den Verlauf der Grenzanlagen in ihrem Bereich – darunter auch den der Mauer von Dassow. Für die Bevölkerung und Reisende verbot es sich, die Grenze zu fotografieren, wollte man nicht in den Verdacht geraten, Spionage zu betreiben oder Fluchtmöglichkeiten auszukundschaften. Daher sind Fotos aus östlicher Perspektive relativ selten und eine unschätzbar wichtige historische Quelle. Das mehrere hundert Aufnahmen umfassende Konvolut der MfS-Kreisdienststelle beginnt zeitlich in der Phase der Deutschen Grenzpolizei (1952-1961) und endet 1989.

Die Mauer von Dassow hinderte die Stadtbewohnerinnen und Bewohner mehr als zehn Jahre daran, auf ihren See hinauszublicken, dementsprechend unbeliebt war dieses Bauwerk. Daher kamen frühzeitig nach der Öffnung der Grenzen Forderungen auf, sie abzureißen. Schon am 22. Januar 1990 war es so weit, die Grenzanlage wurde beseitigt. Erst seit 2015 erinnert eine Stele an Errichtung, Verlauf und Abriss der Mauer von Dassow.

 

(Text: Dr. Michael Heinz, BStU)

Objekt des Monats Oktober 2019

Die Zellsedimentierkammer nach Sayk

Modell der Zellsedimentierkammer um 1955 Medienzentrum der Universität Rostock. Datei: „Sedimentationskammer nach Sayk 8552a“ (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. rer. nat. Reinhard Lehmitz).

Erkrankungen des Nervensystems konnten seit 1900 besser diagnostiziert werden. Eine wichtige Rolle spielte hierfür die Entnahme von Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) mittels Lumbalpunktion. Für deren Untersuchung gab es jedoch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts weder praktikable noch wirklich zuverlässige diagnostische Verfahren. Sie waren entweder zu umständlich oder konnten die erforderlichen optimalen Ergebnisse nicht liefern. Erst eine von dem Neurologen Johannes Sayk (1923–2005) entwickelte Sedimentierkammer, die unsere Abbildungen zeigt, löste das Problem.

Johannes Sayk hatte seine klinische Laufbahn an der Universitätsnervenklinik in Jena begonnen. 1961 war er auf den Lehrstuhl für Neurologie an der Universität Rostock berufen worden, wo er bis 1989 lehrte. Seine Sedimentierkammer ermöglichte es, die Zellen der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit so aufzubereiten, dass sie mikroskopisch untersucht werden konnten. Die in den 1950er-Jahren in Zusammenarbeit mit dem VEB Carl Zeiss Jena konstruierte Sedimentierkammer war einfach zu handhaben und eignete sich gut für den Einsatz im klinischen Alltag. Das Verfahren beruhte auf dem Prinzip der Sedimentation, dem Ablagern von Teilchen (den Zellen) aus Flüssigkeiten (der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) unter dem Einfluss der Gewichtskraft. Sayk gelang es, die Sedimentation durch die Sogwirkung eines Fließpapierstreifens zu beschleunigen. Dabei konnte die Geschwindigkeit des Flüssigkeitsentzugs reguliert werden, um so die Gefahr einer Beschädigung der empfindlichen Zellen zu verringern. Die Zellen blieben im Vergleich zu allen anderen bis dahin bekannten Methoden sehr gut erhalten und ließen sich mit Färbemethoden weiterbehandeln. Die Qualität der Zelldarstellung wurde somit erheblich verbessert.

Der Vertrieb der Zellsedimentierkammer ins In- und Ausland erfolgte über die in Berlin (Ost) ansässige Firma Ing. Wolfgang Dorenburg KG, später durch die Firma Dr. Günter Lange KG. Die serienmäßige Produktion sowie der Export ins Ausland führten zu einer weiten Verbreitung. In Europa war das Sedimentkammerverfahren über mehrere Jahrzehnte die klinische Standardmethode für die Untersuchung der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit. Es war jedoch nicht immer allen Kliniken möglich, die Zellsedimentierkammer zu erwerben, wie Berichte aus der DDR oder Polen zeigen. Der einfache Aufbau der Kammer gestattete aber eigene Nachbauten, und die einfache Handhabung führte zur Anwendung in vielen Laboratorien. Die Möglichkeit des kostengünstigen Nachbaus sorgte dafür, dass sie auch in Ländern mit Mangelwirtschaft genutzt werden konnte. Erst mit Beginn der 1990er-Jahre wurde die Sayksche Sedimentierkammer von anderen Verfahren verdrängt. Trotzdem wird sie bis heute in einigen Ländern wie in China oder bei bestimmten Fragestellungen genutzt.

(Text: Prof. Dr. Ekkehardt Kumbier, Universität Rostock)

Weiterführende Literatur

Dahlmann N, Zettl UK, Kumbier E (2017): The development of Sayk’s cell sedimentation chamber – A historical view on clinical cerebrospinal fluid diagnostics. Eur Neurol 77: 162-167;

Bashian N, Zettl UK, Kumbier E (2018): Johannes Sayk (1923–2005) – Wegbereiter der modernen Liquorzytologie. Historische Betrachtungen zum Leben und Werk. In: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde, Bd. 24, S. 55-73;

Fan S, Ren H, Wang C, Guan H (2018): Continuing Use of Sayk’s Spontaneous Cell Sedimentation Technique for Cerebrospinal Fluid Cytology in China. Eur Neurol 79: 76–78.

Objekt des Monats September 2019

Halsketten

Halsketten, 19. Jahrhundert, Bahia, Gold, Privatsammlung © Emanoel Araujo (Hg.): Arte, adorno, design e tecnologia no tempo da escravidão, São Paulo: Museu Afro Brasil, 2013, S. 142-143.
Halsketten, 19. Jahrhundert, Bahia, Gold, Privatsammlung © Emanoel Araujo (Hg.): Arte, adorno, design e tecnologia no tempo da escravidão, São Paulo: Museu Afro Brasil, 2013, S. 142-143.

Das Objekt des Monats Januar 2019 war ein Halseisen, mit dem in Brasilien Sklaven bestraft und gedemütigt wurden. Das Objekt dieses Monats soll ein Gegenstück dazu sein: Die goldenen Halsketten bezeugen das kulturell aktive Leben versklavter und freier Afrobrasilianer. 

Viele der im 18. Jahrhundert in das brasilianische Goldfördergebiet Minas Gerais verschleppten Sklaven kamen von der Mina-Küste, einer Region am Golf von Guinea, in der ebenfalls Gold abgebaut wurde und wo auch die Goldbearbeitung weit entwickelt war. Die Sklaven brachten daher Fachwissen und technische Fähigkeiten mit nach Brasilien; beides machten ihre neuen Herren zumindest teilweise für sich nutzbar. Die Portugiesen nahmen die Goldschmiede jedoch auch als Konkurrenten für entsprechende Handwerker europäischer Herkunft wahr. Bereits 1621 hatte der König verboten, dass sich die indigene und schwarze Bevölkerung – unabhängig davon, ob sie versklavt oder frei war – in Gewerben betätigte, in denen Gold oder Silber verarbeitet wurde. Im 18. Jahrhundert ließ die portugiesische Krone sogar die Werkbänke afrobrasilianischer Goldschmiede in Bahia und Rio de Janeiro zerstören. Allerdings stellten die weißen Handwerker oft selbst schwarze Sklaven und Freie ein, um sie für sich arbeiten zu lassen. Zudem gab es auch weiterhin afrobrasilianische Goldschmiede mit eigenen Werkstätten, die nicht nur Schmuck für Kunden europäischer Herkunft anfertigten, sondern auch die spezifische Nachfrage afrobrasilianischer Frauen bedienten. 

Denn auch Afrobrasilianerinnen schmückten sich mit goldenen Halsketten, Armbändern, Ringen und anderen Accessoires. 1636 hatte der König ihnen zwar das Tragen von Gold- und Silberverzierungen an ihrer Kleidung verboten, doch die weißen Frauen umgaben sich bei den seltenen Gelegenheiten, in denen sie ihr Haus verließen, gern mit einer Schar prächtig geschmückter Sklavinnen. Für die Herrinnen war dies ein Mittel, ihren sozialen und ökonomischen Status zur Schau zu stellen. Doch auch die Sklavinnen erhielten auf diese Weise eine Gelegenheit, ihre Anmut, ihren Geschmack und das Ansehen, das sie bei ihren Herrinnen genossen, zu demonstrieren. Teilweise überließen ihnen die Besitzer den Schmuck sogar ganz, etwa als Belohnung für „gutes Benehmen“ oder für sexuelle Dienste. Da die Sklavinnen sonst kaum Möglichkeiten des Sparens hatten, gewannen die Ketten in solchen Fällen auch einen konkreten ökonomischen Nutzen: Sie hatten einen erheblichen Wert, konnten leicht transportiert und ohne große Schwierigkeiten veräußert werden, etwa wenn sich eine Sklavin die Freiheit kaufen wollte. Doch auch Afrobrasilianerinnen, die bereits ihre Freiheit erworben hatten oder frei geboren waren, schmückten sich mit entsprechendem Schmuck. Für sie stellte er ein Symbol kultureller Identität dar und unterstrich den Stolz, den sie sich trotz aller erlittenen Herabsetzung durch die Sklaverei bewahrt hatten. In gewisser Weise bedeutete der Goldschmuck damit sowohl für die afrobrasilianischen Goldschmiede als auch für die afrobrasilianischen Trägerinnen einen Akt des Widerstands gegen die Sklaverei.

(Text: Dr. Jorun Poettering, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Frühe Neuzeit des Historischen Instituts)

Objekt des Monats Mai 2019

Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät für Oluf Gerhard Tychsen

Abbildung: Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät, Seide, UB Rostock, Sondersammlungen, Mss. orient. 290(8), Bl. 49.

Am 14. November 1813 verlieh die Universität Rostock die juristische Ehrendoktorwürde, eingebunden in grauer Seide, die die Abbildung zeigt, an Oluf Gerhard Tychsen. Nicht nur die juristische, auch die theologische Fakultät verlieh ihm zu seinem 50jährigen Dienstjubiläum den Ehrendoktor, die juristische vor allem wegen seiner Schriften über das jüdische Recht. Der Freimüthige oder Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser vom 29. November 1813 berichtete darüber: „Nachdem demselben am Morgen dieses Tages von seinen sämmtlichen Collegen und anderen angesehenen Männern Glückwünsche überbracht worden waren, selbst der Durchlauchtigste Erbprinz geruhet hatte, in Begleitung des Prinzen Paul und dessen Gouverneurs dem Jubelgreise seine Theilnahme zu bezeugen, so wurde ihm Mittags bei Hofe vor der Tafel, zu welcher auch Decane der Fakultäten eingeladen waren, von Seiner Excellenz, dem Herrn Geheimen Rathspräsidenten von Brandenstein, das Patent als Vicekanzler und ein sehr gnädiges Schreiben des Durchl. regierenden Herzogs nebst einer zur Feyer dieses Tages auf Herzogliche Kosten geprägte Medaille in Gold überreichte … Plötzlich erhob sich ein Geräusch, und siehe da ! der Durchlauchtigste Erbprinz hatte sich zu erheben geruht, um auf das Wohl des Jubelgreises das gefüllte Glas zu leeren, welchem erhabenen Beispiele alle Anwesenden freudig nachfolgten. Der Abend dieses festlichen Tages beschloss mit einer Fackelmusik, welche die Studierendem dem Greise brachten."

Doch wer war Oluf Gerhard Tychsen? Geboren am 14. Dezember 1734 in Tondern (Tønder) in Nordschleswig, besuchte er ab 1752 das Akademische Gymnasium in Altona. Dort kam er mit der hebräischen Sprache und mit jüdischer Literatur in Kontakt; zum Studium der Theologie, der Geschichte und der orientalischen Literatur ging er anschließend zunächst nach Jena, wechselte aber bald nach Halle. Dort wurde Johann Heinrich Callenberg auf ihn aufmerksam und holte ihn an sein Institutum Judaicum et Muhammedicum, wo er zum Judenmissionar ausgebildet wurde und 1759/60 auf zwei Missionsreisen durch Norddeutschland und Dänemark ging. Von Halle aus wurde er im Herbst 1760 als Dozent für hebräische Sprache an die neugegründete Friedrichs-Universität zu Bützow bestellt, und dort im November 1763 auf die ordentliche Professur für morgenländische Sprachen berufen. 1770 wurde er außerdem Bibliothekar der Universität. Schon bald bewirkten seine Sprachkenntnisse umfangreiche Kontakte zu Mecklenburger Juden, die er sich als Informanden über Fragen der jüdischen Kultur, Gebräuche und Sprache nützlich zu machen wusste, darüber hinaus trat er aber auch als Förderer jüdischer Studenten und sogar Promovenden in Erscheinung. Tychsen wurde zu einem interkulturellen Mittler zwischen Juden und Christen; indem er 1813 das entscheidende Gutachten zum Emanzipationsedikt der Juden in Mecklenburg schrieb, sogar zum Förderer der jüdischen Emanzipation. Allerdings behielt er zeitlebens seine zutiefst pietistische Haltung bei, die über eine rechtliche wie kulturelle Annäherung der Juden an die christliche Gesellschaft eine vollständige Assimilation und damit ein Aufgehen des Judentums im Christentum erreichen wollte.

Mit der Zurückverlegung der Bützower Universität nach Rostock kam auch Tychsen nach Rostock, mit ihm die durchaus umfangreiche Bützower Universitätsbibliothek, die von ihm begründet worden war. In Rostock setzte er seine Publikations- und Sammlungstätigkeit fort, baute unter anderem eine Naturaliensammlung auf, gründete das akademische Münzkabinett und erweiterte in seiner Eigenschaft als Oberbibliothekar die Rostocker Universitätsbibliothek erheblich. So geht die heutzutage in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek aufbewahrte Judaica-Sammlung mit ca. 3.500 Titeln wesentlich auf den Rostocker Bibliothekar und Orientalisten zurück.

Tychsens Forschertätigkeit verband ihn bald mit einem großen Kreis von Gelehrten; im Laufe der Jahre baute er ein europaweites Netzwerk mit fast 200 Korrespondenten auf, weit über 3000 Briefe sind erhalten, die in den Sondersammlungen der UB aufbewahrt werden. Diese weitbeachtete Tätigkeit blieb nicht ohne Folgen: 1793 wurde er Mitglied der Königlichen Akademie der Schönen Wissenschaften in Stockholm, 1796 Ehrenmitglied der Akademie zu Padua, 1798 der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Kopenhagen, 1801 Ehrenmitglied der Mecklenburgischen Naturforschenden Gesellschaft, 1803 Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1813 schließlich der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München, um nur die wichtigsten aufzuzählen.

Nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde, verbliebenen Tychsen noch zwei Jahre bis er am 30. Dezember 1815 in Rostock verstarb. Im Rostocker Stadtbild ist Oluf Gerhard Tychsen mit einem Portraitmedaillon an der nördlichen Schmalseite des Universitätshauptgebäudes (Kröpeliner Straße) verewigt und eine Straße in der Südstadt ist nach ihm benannt.

(Text: Prof. Dr. Michael Busch arbeitet am Projekt der Erschließung und Digitalisierung des Nachlasses von Oluf Gerhard Tychsen und ist Kurt von Fritz Postdoc-Stipendiat)

 

Objekt des Monats April 2019

Akte BStU, MfS, BV Rostock, Abteilung IX, Nr. 200, Bl. 10

 Akte BStU, MfS, BV Rostock, Abteilung IX, Nr. 200, Bl. 10
Akte BStU, MfS, BV Rostock, Abteilung IX, Nr. 200, Bl. 10

Zwischen dem „Mauerbau“ 1961 und dem „Mauerfall“ 1989 versuchten rund 5600 Menschen über die Ostsee aus der DDR zu fliehen. Zirka 4500 gerieten dabei in die Fänge der Grenzbrigade Küste, der Volksmarine, der Volkspolizei und nicht zuletzt der Stasi. Das SED-Regime wollte unter allen Umständen Fluchten aus der DDR unterbinden, auch mit Gewalt. Sein „Schild und Schwert“, das Ministerium für Staatssicherheit, war dabei das wichtigste Erfüllungsorgan. Viele abgefangene Ostseeflüchtlinge kamen in die Untersuchungshaftanstalt des MfS nach Rostock in den Grünen Weg und wurden hier in der Regel monatelang zu ihrer versuchten Flucht und möglichen Mitwissern verhört, um die Prozesse vorzubereiten. Bis 1968 nutzten die Gerichte Paragraph 8 des Passgesetzes, um Flüchtlinge zu bestrafen. Mit der Einführung des Strafgesetzbuches 1968 verurteilte man sie nach Paragraph 213 wegen „ungesetzlichen Grenzübertritts“. Bei „leichten Fällen“ konnten Geldstrafen oder bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug verhängt werden. Bei Ostseefluchten nahmen die Gerichte jedoch meist „schwere Fälle“ an, wofür das DDR-Recht Strafen von bis zu acht Jahren Freiheitsentzug vorsah.

Das MfS wandte viel Energie auf, die versuchten, aber auch die erfolgreichen Fluchten aus der DDR aufzuklären. Zum einen wollte es die „Täter“ und Mitwisser bestrafen lassen und damit auch Nachahmer abschrecken, zum anderen mögliche Lücken in der sehr massiven, vor allem nach innen gerichteten Abschottung erkennen und schließen. Daher sind MfS-Akten zu Fluchtfällen relativ umfangreich und beinhalten zahlreiche Verhörprotokolle, Zeugenvernehmungen, Beurteilungen, Täter- und Tatanalysen. Zu den Tatdokumentationen gehörten oft fotografische Darstellungen des Fluchtorts und der Fluchtfahrzeuge.

In den 1980er Jahren legten Mitarbeiter der Abteilung IX der Bezirksverwaltung Rostock, des „Untersuchungsorgans“ des MfS, eine spezielle Akte (BStU, MfS, BV Rostock, Abt. IX, Nr. 200) an – zu besonders spektakulären, aber auch typischen Ostseefluchten. Die Verhöroffiziere zwangen die festgenommenen Flüchtlinge, mit ihren Fluchtmitteln zu posieren und fotografierten dies meistens in der „Schleuse“ der MfS-Untersuchungshaftanstalt. Diese Akte, die wie eine Trophäensammlung anmutet, enthält nicht nur diese „Beweisfotos“, sondern auch kurze Beschreibungen der Tat. Was hierin meist nicht gespiegelt wurde, sind die Fluchtursachen – so auch in dem vorliegenden Dokument, das einen Fluchtfall aus Rostock-Warnemünde vom September 1987 darstellt.

Nähere Informationen zu dieser Flucht ergeben sich erst aus dem umfangreichen Archivierten Untersuchungsvorgang zum Fall. Hieraus geht hervor, dass der abgebildete Mann aus Rostock zuvor erfolglos versucht hatte, unter Verweis auf internationales Recht legal aus der DDR auszureisen. Seine Anträge beschied jedoch die Abteilung Inneres des Rates der Stadt abschlägig und teilte ihm mit, er habe kein Recht auszureisen.

Daher setzte er alles auf eine Karte und entschloss sich zur Flucht über die Ostsee. Des Nachts landete er in der Nähe des „Teepotts“ ab, wo er schon tagsüber einige Sachen deponiert hatte. Trotz intensiver Überwachung des Strandes durch Streifen der Grenzbrigade Küste und engmaschiger Kontrolle auf See durch Boote ebendieser und der Volksmarine gelang es ihm, mit seinen schwarz angemalten Segeln unbemerkt durch den unsichtbaren „eisernen Vorhang“ hindurchzuschlüpfen. Nachdem er einige Seemeilen bewältigt hatte, schlug jedoch das Wetter um. Sein kleines Faltboot vom Typ „Kolibri“ war der zunehmend schweren See nicht gewachsen. In Angst um sein Leben sah er sich gezwungen, das nächste Schiff anzulaufen – leider einen sowjetischen Frachter. Dessen Crew rettete ihn zwar aus der Seenot, übergab ihn aber natürlich den befreundeten DDR-Grenzorganen.

Warum floh der Mann und setzte damit sein Leben aufs Spiel? In den nachfolgenden Verhören durch das MfS sagte er aus, dass er seit 1980 seine „bis dahin vorhandenen Hoffnungen auf deutlich spürbare Veränderungen, vor allem im Demokratisierungsprozeß der Gesellschaft, verloren“ habe. Weiterhin äußerte er, dass durch mangelnde persönliche Freiheit, zunehmende Militarisierung und die SED-Medienpolitik „unerträgliche Zustände“ erreicht seien. Der Flüchtling wurde jedoch wider Erwarten und als einer von sehr wenigen nicht verurteilt. Ihm kam eine Amnestie, erlassen im Kontext des BRD-Besuches von SED-Chef Erich Honecker, zu Gute. Ende 1987 konnte er nach einigen Monaten Untersuchungshaft das Gefängnis verlassen.

Objekt des Monats Januar 2019

Halseisen

Jean-Baptiste Debret, Voyage Pittoresque et Historique au Brésil, Bd. 2, Paris 1835, S. 131, Abb. 42
© Museu Histórico Memorial da Liberdade, Redenção (CE)

Das abgebildete Objekt stammt aus dem 19. Jahrhundert aus Brasilien. Es besteht aus zwei halbrunden Eisenbügeln, die auf der einen Seite durch ein Scharnier verbunden sind und auf der anderen Seite mit einem Schloss verriegelt werden können. An einem der Bügel ist ein Eisenkreuz mit abgerundeten, scharfen Spitzen angebracht. Solche Halseisen (gargalheiras, libambos) wurden zur Bestrafung von Sklaven verwendet. Um den Hals gelegt, schränkten sie die Bewegungsfreiheit der Sklaven ein, ermöglichten ihnen aber dennoch die Ausübung der meisten Arbeiten. Teilweise wurden die Halseisen mittels einer Eisenkette mit einem zweiten Eisenring an einem Hand- oder Fußgelenk oder mit entsprechenden Eisen an einem oder mehreren weiteren Sklaven verbunden. 

Die portugiesischen Eroberer griffen seit dem Beginn ihrer Kolonisierung Brasiliens im frühen 16. Jahrhundert für alle körperlichen und handwerklichen Tätigkeiten auf Sklaven zurück, so bei der Errichtung öffentlicher und privater Bauten, auf den Zuckerrohrplantagen, im Transportwesen und in den Haushalten. Zunächst verwendeten sie fast ausschließlich Zwangsarbeiter einheimischer Herkunft. Aufgrund der hohen Todesraten bei den Kriegen und Raubzügen und durch die von den Europäern eingeführten Krankheiten ging die indigene Bevölkerung bald rapide zurück. Daher führten die Portugiesen bereits seit dem 16. Jahrhundert zusätzlich Sklaven aus Afrika ein. Als um 1700 im Landesinnern Gold und Edelsteine gefunden worden waren, stieg die Nachfrage nach afrikanischen Arbeitskräften nochmals erheblich an. Insgesamt wurden zwischen 1550 und 1850 rund vier Millionen Sklaven aus Afrika nach Brasilien verschleppt – weit mehr als in jedes andere Land in den Amerikas. Erst 1888 wurde die Sklaverei in Brasilien offiziell abgeschafft.

Die Bestrafung der Sklaven war üblich, gesetzlich erlaubt und von der katholischen Kirche gutgeheißen. Sie bestand in einer Kombination körperlicher und psychischer Gewaltanwendung, vermied aber in der Regel die Vernichtung der Arbeitskraft. Ziel war es vielmehr, die wirtschaftliche Rentabilität der Sklaven durch Disziplinierung und Verminderung ihres Widerstandswillens zu optimieren. Ein zentrales Element der Strafpraktiken war ihre größtmögliche Sichtbarkeit. Diese führte zu einer kontinuierlichen Bestätigung und Verfestigung des Status der Unterworfenheit und Ausgeliefertheit der Sklaven in der öffentlichen Wahrnehmung. 

Halseisen mussten vor allem jene Sklaven tragen, die zu fliehen versucht hatten. Die Eisen sollten sie an einem erneuten Fluchtversuch hindern, denn die gebogenen Metallkreuze erschwerten das Leben im dichten Unterholz der Wälder, wohin sich viele entlaufene Sklaven zurückzogen; wenn die Eisen mittels einer Kette mit einem Gliedmaß oder mit weiteren Sklaven verbunden waren, war die Flucht noch schwerer. Die Eisen dienten ferner der Verwarnung und öffentlichen Erniedrigung; sie wurden daher auch für Sklaven verwendet, die zuvor mit Peitschenhieben für andere Vergehen bestraft worden waren. Die Gestraften mussten die Eisen oft mehrere Monate tragen und durften sie selbst nachts nicht ablegen, wodurch das Schlafen erheblich erschwert wurde. 

Auf dem Stich von Jean-Baptiste Debret sind drei Sklaven mit Halseisen in einer Geschäftsstraße von Rio de Janeiro in der zweiten oder dritten Dekade des 19. Jahrhunderts zu sehen. Wie man sieht, hinderten die Halseisen sie nicht daran, miteinander ins Gespräch zu kommen und gegebenenfalls ihre Waren zu verkaufen, deren Erlöse sie in regelmäßigen Abständen an ihre Besitzer abliefern mussten. Anders als die meisten anderen europäischen Künstler seiner Zeit stellte Debret in vielen seiner Werke die Handlungsmacht und die Würde dar, über die die brasilianischen Sklaven trotz aller Erniedrigungen verfügten. Dennoch weisen sowohl die Instrumente der Bestrafung als auch entsprechende Abbildungen, die durch ihr häufiges Auftauchen auf Buchumschlägen und Postern, in Museen und Dokumentarfilmen einen ikonischen Status in Brasilien erlangt haben, nicht nur den Sklaven, sondern auch der schwarzen Bevölkerung im Allgemeinen einen Opferstatus im kollektiven öffentlichen Gedächtnis zu. Um dem entgegenzuwirken, legen viele Historiker den Schwerpunkt ihrer Forschung auf den von Sklaven geleisteten Widerstand, auf ihr Sozialleben, ihre Beiträge zur Wissensproduktion und ihre kulturellen Äußerungen. Dem trägt auch ein künftiges „Objekt des Monats“ Rechnung, das diesmal einen positiv konnotierten Gegenstand aus der brasilianischen Sklavereigeschichte vorstellen wird. 

(Text: Dr. Jorun Poettering, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Frühe Neuzeit des Historischen Instituts)