Objekt des Monats November: Auszeichnung unseres Kollegen, Prof. Niemann, für „Beständiger Wandel"!

Der 30. Annalise-Wagner-Preis geht an die agrar-und zeitgeschichtliche Studie „Beständiger Wandel: Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Mecklenburg von 1900 bis 2000“ unseres Kollegen am Historischen Institut, Prof. Dr. Mario Niemann

Als „erste Gesamtdarstellung des ländlichen Lebens in Mecklenburg im 20. Jahrhundert“ ist dieses agrarhistorische Sachbuch, so die Begründung der Jury, ein Meilenstein in der Erforschung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Mecklenburgs. Erstmals stehen die Territorien des historischen Mecklenburg-Schwerin und des historischen Mecklenburg-Strelitz gemeinsam im Fokus einer zeitgeschichtlichen agrarhistorischen Untersuchung, werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der mecklenburgischen Regionen erhellt. Dieses agrarhistorische Sachbuch ist ein „beeindruckender Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Region“ und gibt nachhaltig „Impulse für demokratische Erinnerungskultur und gesellschaftliche Kommunikation“, begründet die Jury ihre Auswahl von Niemanns Buch aus 76 eingereichten Schriften.

Im „historischen Weitwinkel“ entfaltet sich ein klar ausgeleuchtetes Bild der Strukturen und grundlegenden Veränderungen des ländlichen Raumes und der ländlichen Gesellschaft in Mecklenburg in diesen 100 Jahren – mit vielfältigen Bezügen zu Alltags- oder Kulturgeschichte, zu Soziologie oder Sozialökonomie, zu politischen und gesellschaftlichen Prozessen und Brüchen. Im „Zoom“ auf die konkreten Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen werden die gravierenden Umbrüche in Landwirtschaft und ländlichem Leben zwischen den Jahrhundertwenden „in handfestem Alltag widergespiegelt.“ Viele „sprechende Quellen“ – darunter auch in plattdeutscher Sprache – machen mecklenburgische Dorf-und Lebensgeschichte(n) dieser Zeit lebendig und spannend, „Geschichte wird so transparent, spür- und greifbar“, betont die Jury. Mit spürbarer Wertschätzung für Landarbeit und ländliches Leben eröffnet der Autor innerhalb jedes Zeitabschnitts ganz unterschiedliche Blickwinkel, um Widersprüchlichkeit, Komplexität und Facettenreichtum der agrargeschichtlichen Entwicklungen und Brüche deutlich zu machen und „Vereinseitigungen und Verkürzungen entgegenzuwirken“

Wissenschaftliche Souveränität und sprachliche Stilsicherheit des Autors verbinden sich – ganz in Annalise Wagners Sinne – mit seinem ausdrücklichen Anliegen, „mit diesem Buch eine breite Leserschaft anzusprechen“ Der renommierte Zeit-und Agrarhistoriker Prof. Dr. Mario Niemann engagierte sich für dieses publizistische „Herzens-Projekt“ mit einer Leidenschaft, die auf wissenschaftlicher Berufung fußt, weit darüber hinausgeht – und auch ganz persönliche Hintergründe hat. „Ich bin Mecklenburger und fühle mich dem ländlichen Mecklenburg sehr verbunden“, schreibt er im Vorwort der Publikation, und er widmet sie seinen Großeltern, „mecklenburgischen Bauern von echtem Schrot und Korn.“ Zu seinen Vorfahren gehören alteingesessene mecklenburgische Bauernfamilien, er absolvierte eine landwirtschaftliche Berufsausbildung, studierte an der Rostocker Universität Geschichte und leitet heute den Arbeitsbereich Moderne deutsche Agrargeschichte am Historischen Institut der Universität Rostock.

Der 30. Annalise-Wagner-Preis wird anlässlich des europaweiten „Tages der Stiftungen“ im Herbst in einer öffentlichen Festveranstaltung an Prof. Dr. Mario Niemann verliehen.

Objekt des Monats Oktober: Nachruf Prof. Dr. Gerhard Heitz (1925-2021)

Prof. Dr. Gerhard Heitz (1925-2021)

Am 10. September 2021 starb in Bad Doberan nach längerer, schwerer Krankheit im 97. Lebensjahr der Nestor der mecklenburgischen Landesgeschichtsforschung, der national wie international anerkannte Agrarhistoriker Prof. Dr. phil. habil. Dr. h.c. Gerhard Heitz. Mehr als drei Jahrzehnte, von 1959 bis zu seiner Emeritierung 1990, wirkte er an der Universität Rostock als Hochschullehrer. Auch als Emeritus blieb er danach nochmals für weitere drei Jahrzehnte der Universität wissenschaftlich und persönlich bis fast an sein Lebensende eng verbunden, nahm an den Feierlichkeiten und wissenschaftlichen Veranstaltungen zum Doppeljubiläum von Stadt und Universität 2018 und 2019 rege Anteil.

Geboren am 28. März 1925 in Burg bei Magdeburg, nahm Gerhard Heitz, seit 1943 als Soldat im Zweiten Weltkrieg, 1946 sein Studium an den Universitäten Leipzig und Berlin auf. Seine akademischen Lehrer, besonders Heinrich Sproemberg und Jürgen Kuczynski, lenkten seine Interessen frühzeitig auf das Gebiet der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, seit seiner Habilitation in Leipzig insbesondere auf die mecklenburgische Agrargeschichte der frühen Neuzeit. Seit 1959 bis zu seiner Emeritierung 1990 wirkte er dann als Hochschullehrer am Historischen Institut bzw. der Sektion Geschichte der Universität Rostock. Außer seiner langjährigen Tätigkeit als Instituts- bzw. Sektionsdirektor nahm er mehrfach die Funktion als Prorektor und kurzzeitig als Stellvertreter des Staatssekretärs wahr. Neben der jahrzehntelangen Ausbildung insbesondere von Geschichtslehrern, aber auch Land- und Betriebswirten scharte er eine große Zahl von Doktoranden um sich, für die er mit eigenen, quellenbasierten Forschungen schulebildend wurde und Rostock zu einem Zentrum der agrargeschichtlichen Forschung in der DDR machte. Ergebnisse präsentierte er u.a. auf Weltkongressen der Historiker bzw. Wirtschaftshistoriker. Verdienst erwarb sich Gerhard Heitz ebenfalls um die Rostocker Stadt- und Universitätsgeschichte, für deren Jubiläen in den Jahren 1968 und 1969 er die wissenschaftliche Verantwortung trug. Seit dem Vorabend des Mecklenburg-Jubiläums 1995 wandte er sich zunehmend der Landesgeschichte generell zu, die ihn bis fast an sein Lebensende beschäftigte.

Gerhard Heitz erfuhr mehrfach Ehrungen für seine wissenschaftliche Tätigkeit. Die Universität Debrecen (Ungarn) verlieh ihm 1990 die Ehrendoktorwürde.

(Text: Prof. Dr. Ernst Münch)

Objekt des Monats Juni bis September: Der Strandkorb

Der Strandkorb

Mitglieder und Strandkorb der Familie Bartelmann 1908. Für die Nutzung des Fotos gilt Andreas Bartelmann besonderer Dank. Quelle: http://www.bartelmann.com/alle-images/strandkorb/1908-00-00%20Elly%20Bartelmann%20aus%20Dahme%20mit%20Eltern%20und%20Grossmutter%20--%20nicht%20Verwandt_g.jpg

Das erste Ostseebad, Heiligendamm, wurde 1793 gegründet, weil das Baden im Meer als besonders gesundheitsfördernd galt. Die Heilung durch Meerwasser, die Thalassotherapie, bedeutete, dass hauptsächlich zu medizinischen Zwecken, nicht zum Vergnügen, gebadet wurde. Nur etwa 100 der zumeist adligen 500 Kurgäste im Jahr 1796 gingen tatsächlich ins Wasser, die Mehrheit genoss die heilende Seeluft vom Strand aus.

Freibaden war im 18. Jahrhundert eher unüblich, stattdessen wurde das Bad in sogenannten Badeschaluppen genommen. Es handelte sich dabei um in Gitterwerk geflochtene, an Badewannen erinnernde Körbe, die von einem Boot aus ins Wasser gelassen wurden und Platz für je eine Person boten. Das Umkleiden geschah in einem Badezimmer hinter Vorhängen. Um allen Badegästen einen kurzen Ausflug ins Meer zu gewährleisten, mussten eng getaktete Badezeiten eingehalten werden.

Etwas mehr Freiheit bot ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der Badekarren. Die fensterlose Kutsche aus Korb war mit einer Bank sowie Haken zum Aufhängen der Garderobe ausgestattet. Nachdem sich die Besucher umgezogen hatten, wurde der Badekarren von Pferden ins flache Meer gezogen.

Trotz des umständlichen Strandbesuchs stiegen die Besucherzahlen der Seebäder stetig. Dass Vergnügungsreisen ans Meer schon im 19. Jahrhundert zunahmen, beweist auch die Legende, die sich um die Erfindung des Strandkorbs rankt: Obwohl ihr Arzt aufgrund ihres Rheumas von Aufenthalten an der windigen Küste abgeraten hatte, wollte eine ältere Dame nicht auf Besuche des Warnemünder Strands verzichten. Also bat sie den seit 1870 in Rostock ansässigen Korbmacher Wilhelm Bartelmann, ein Sitzmöbel zu bauen, das sie vor starkem Wind schützen könne. So entstand 1882 der erste Strandkorb, ein mit Markisen überzogener Einsitzer, dem bald Körbe für zwei Personen sowie die erste Standkorbvermietung in Warnemünde folgten.

Geflochtene Korbsessel, die dem Schutz gegen Zugluft auch in geschlossenen Räumen dienten, zählten bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu gängigen Einrichtungsgegenständen niederländischer Haushalte. In englischen Herrenhäusern schützten sie die Pförtner vor Luftzügen in kalten Hauseingängen. Tatsächlich ist die Nutzung der überdachten Korbstühle an Stränden sogar schon vor der Erfindung durch Bartelmann belegt: Im 39. Heft des Jahres 1881 der Zeitschrift „Gartenlaube“ zeigt eine Zeichnung die geflochtenen Weidenmöbel am Strand von Schreveningen im Jahr 1878. Auch an der deutschen Nordseeküste, in Norderney, ruhten Strandbesucher laut einem Artikel desselben Jahrgangs „in den wunderlichen geflochtenen Strandkörben vor Wind und Sonne gedeckt“. Die früheste Erwähnung stammt vermutlich aus einem 1871 in Kiel erschienenen Handbuch für Korbflechter: Der dort vorgestellte „Strandstuhl mit Überdachung aus Weiden“ sollte ebenso wie Bartelmann’s späteres Modell mit Leinwand überzogen werden.

In Warnemünde waren die Körbe sehr populär: Um 1890 zierten 100 Strandmöbel das Ufer, um 1900 etwa 550, und 1935 bereits über 3.000. Gängige Postkartenmotive demonstrieren ihre Allgegenwärtigkeit am Strand.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts traten gesundheitliche Gründe für Reisen ans Meer immer weiter in den Hintergrund. Der Strandkorb bot Schutz vor Sonne und Wind für Urlauber, die sich eine Pause vom Freibaden nahmen.

(Text: Vivien Popken, Historisches Institut der Universität Greifswald/ Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums (FGHO))

Objekt des Monats Mai: Die Thora-Krone Hamburgs

Foto: Armin Levy | Raawi Jüdisches Magazin

Am 9. November 1938 begann die Welt zu brennen. In Hamburg brannten SS-Truppen, unterstützt von Bürgern der Stadt, die sogenannte Bornplatzsynagoge im Grindelviertel nieder, gelegen in der Nähe des heutigen Bahnhofs Hamburg-Dammtor. Die übrig gebliebenen Mauern des größten jüdischen Gotteshauses Norddeutschlands, gebaut 1906, ließen die Nationalsozialisten später abreißen und die jüdische Gemeinde für den Abriss bezahlen. In dieser Nacht der Plünderung und Zerstörung verschwand auch die Thora-Krone, welche unser Objekt des Monats Mai darstellt. Doch 80 Jahre später ist sie zurück – und seit dem 9. November 2020 wieder im Besitz der Jüdischen Gemeinde Hamburgs. Was ist eine Thora-Krone und welche Geschichte hat diese?

Die Hamburger Thora-Krone ist ein kleiner Gegenstand. Sie wiegt 800 Gramm, ist aus Silber gefertigt und misst 23 Zentimeter in die Höhe. Eine Gravur verweist darauf, dass sie dem Hamburger Rabbiner Markus Hirsch, der um 1900 der Gemeinde vorstand, gewidmet wurde. Doch warum sollte der Hamburger Rabbiner eine Krone tragen?

Mit der „Krone der Thora“ bezeichneten jüdische Gelehrte die Gelehrsamkeit der Heiligen Schriften selber, gaben also nicht Menschen, sondern Texten diesen Ehrentitel. Seit dem Mittelalter fungierten Thora-Kronen als Zierde oder Aufsatz der Heiligen Schriften, der sogenannten Thorarollen. Thora-Kronen, meist aus Gold oder Silber, setzten die Rabbiner auf festlichen Umzügen oft auf die Thorarollen, um diese symbolisch zu verehren. Konflikte entstanden seitdem immer wieder über der Frage, warum die Krone, als christliches Herrschaftszeichen von weltlichen Königen und Kaisern, so weit in die jüdische Kultur und ihre religiösen Darstellungen eindringen konnte. Die teuren Gegenstände, meist von Gemeindemitgliedern gestiftet, zeigen aber zugleich, wie sich sozialer Aufstieg und wirtschaftlicher Erfolg des jüdischen Bürgertums in wertvollen Kultobjekten niederschlugen, die zugleich das Prestige des Gebers stärkten. Auch der Hamburger Stifter von 1906 ließ nicht nur den Namen des Rabbiners Hirsch (1833-1909) eingravieren, sondern auch seinen eigenen auf dem Fuß der Krone eingravieren.

Die Hamburger Thora-Krone blieb 80 Jahre lang verschollen. Dann fand sie ein Hamburger Unternehmer, der auch Mitglied der Synagoge ist, in einem Antiquitätengeschäft. Er kaufte das Objekt und gab die Krone am 9. November 2020 wieder an die Jüdische Gemeinde Hamburg zurück. Ob die Hamburger Thora-Krone ihren ursprünglichen Zweck, die Thorarollen währen der Gottesdienste zu schmücken, wieder einnehmen kann, ist offen. Der Plan, die 1938 niedergebrannte Synagoge im Herzen des Hamburger Universitätsviertels, des Grindelviertels, neu zu bauen, wird derzeit diskutiert.

(Text: Prof. Dr. Ulrike von Hirschhausen)

Objekt des Monats April: Seeastrolabium der Esmeralda

Das Astrolabium der Esmeralda mit Wappen Portugals (oben) und Armillarsphäre (unten) hat einen Durchmesser von 175 mm. (Foto: David L. Mearns, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1095-9270.12353)

Mit der Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama 1497/98 war ein weiterer Schritt zur europäischen Expansion getan. Die Route um das Kap der Guten Hoffnung, die Carreira da Índia, wurde jährlich von portugiesischen Flotten befahren, um Gold, Kupfer und Edelsteine gegen Gewürze wie Pfeffer, Zimt und Nelken zu handeln. Aufgrund der jahreszeitlichen Monsune war es essentiell, bestimmte Fahrpläne und Routen einzuhalten. Diese führten auch über das offene Meer. Damit entfiel die bisher übliche Navigation entlang der Küstenlinien. Auch der für die Orientierung auf See elementare Polarstern war auf der Südhalbkugel nicht sichtbar. Infolge dieser neuen Herausforderungen sanken allein zwischen 1498 und 1650 über 200 portugiesische Schiffe.

Die anspruchsvollen Bedingungen verlangten von den Seefahrern neue navigatorische Kompetenzen. Das Astrolabium zur Bestimmung von Zeit und Planetenpositionen war als mathematisch-religiöses Instrument mit mehreren Scheiben bereits seit der Antike bekannt. Im Mittelalter wurde es von den Mauren auf die Iberische Halbinsel gebracht. Die Anwendung spezieller Seeastrolabien zur Bestimmung des Breitengrads auf der Südhalbkugel ist erstmals ab dem späten 15. Jahrhundert schriftlich belegt. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts bestanden sie nur noch aus einem Metallring mit kleiner, zentraler Scheibe und Zeiger. Dadurch wurde dem Wind auf dem offenen Meer weniger Angriffsfläche geboten. Mithilfe von feinen Gradlinien auf dem Ring, dem Stand der Sonne und ausführlichen astronomischen Deklinationstabellen konnte die Position des Schiffs errechnet werden.

500 Jahre nach der Entdeckung des Seewegs nach Indien gelang der Unterwasserarchäologie ein Sensationsfund. Aus dem Wrack der Esmeralda wurde 1998 das Objekt des Monats April, das Seeastrolabium, geborgen. Die Überreste des Schiffs wurden mit Hilfe des Augenzeugenberichts des Kapitäns Pêro d’Ataíde bei Al Hallaniyah vor der Küste Omans lokalisiert. Die Esmeralda war Teil der vierten portugiesischen Expedition nach Indien, die ebenfalls von Vasco da Gama geleitet wurde. Auf der Rückfahrt im Jahr 1503 blieben fünf Schiffe im Indischen Ozean zurück, um die neu errichteten Handelsstützpunkte zu beschützen sowie fremde Handelsschiffe zwischen Indien und dem roten Meer zu plündern. Im Mai 1503 traf ein heftiger Sturm die kleine Flotte, welche zu diesem Zeitpunkt in einer Bucht bei Al Hallaniyah vor Anker lag. Die beiden Naos Esmeralda und São Pedro sanken sofort, die Überlebenden konnten in den folgenden Tagen auf den verbliebenen kleineren Schiffen entkommen.

Das hier vorgestellte Seeastrolabium wurde anhand des runden Symbols, welches auf der Rückseite zu sehen ist, datiert. Es handelt es sich dabei um das persönliche Emblem König Manuels I. von Portugal, eine Armillarsphäre, ebenfalls ein Objekt zur astronomischen Messung. Die Armillarsphäre repräsentiert außerdem globale Machtansprüche der portugiesischen Krone. Da Manuel I. erst 1495 den Thron bestieg und die Schiffe den Hafen 1502 verließen, muss das Instrument in diesen sieben Jahren hergestellt worden sein. Damit handelt es sich um das älteste erhaltene Seeastrolabium.

Im Gegensatz zu späteren Instrumenten seiner Art weist es noch nicht die typische Form eines Rings auf. Laserscans ließen auf der korrodierten Oberfläche der Scheibe 18 feine Linien im Abstand von fünf Grad sichtbar werden, welche die Verwendung als Navigationswerkzeug bestätigen. Die unübliche Form weist darauf hin, dass die Adaption technischer Instrumente für den maritimen Gebrauch schrittweise voranging und praktischer Versuche bedurfte. Im Laufe der frühen Neuzeit ersetzten Jakobsstab und später Sextant die Seeastrolabien.

Zunehmend komplexere Technologie setzte immer umfassenderes Fachwissen voraus, was die Gründung von Navigationsschulen im frühen 16. Jahrhundert nach sich zog. Das Objekt dieses Monats verdeutlicht, wie prägend die transkontinentale Expansion des Handels für den Alltag vieler Seeleute war.

(Text: Vivien Popken, Historisches Institut der Universität Greifswald)

Objekt des Monats März: Der Conrad-Ekhof-Ring: Ein vergessenes Juwel der Rostocker Theatergeschichte

Abbildung: Der Conrad-Ekhof-Ring des Rostocker Volkstheaters (Foto: Wolfgang Woelk)

1969 initiierte das Rostocker Volkstheater den Conrad-Ekhof-Ring. Mit diesem Preis wurden bis in die 1980er Jahre hinein sozialistische Persönlichkeiten sowie verdienstvolle Rostocker Ensemblemitglieder für außergewöhnliche künstlerische Leistungen geehrt. Mehr als 50 Jahre nach der ersten Verleihung ist die Auszeichnung in Vergessenheit geraten. Grund genug für eine Aufarbeitung!

Der Namensgeber – Conrad Ekhof (1720-1778) – war 1750-1756 als Schauspieler am Schweriner Hof unter Herzog Christian Ludwig II. engagiert, gastierte regelmäßig in Rostock und prägte als Darsteller und Lehrer die deutsche Schauspielkunst maßgeblich. 1753 gründete der Künstler in Schwerin die erste deutsche Schauspiel-Akademie. Es folgte eine Zusammenarbeit mit Gotthold Ephraim Lessing sowie die Gründung des ersten deutschen Ensemble-Theaters in Gotha. Ekhof gilt bis heute als „Vater der deutschen Schauspielkunst“. Kein Zufall also, dass sich das Rostocker Volkstheater, welches zu den führenden Theatern der DDR gehörte, mit dieser Ehrung auf ihn bezog. Denn als Ur- und Erstaufführungsbühne westlicher Autoren war das Volkstheater unter Intendant Hanns Anselm Perten weithin bekannt. Diese Prominenz sollte mit dem Ekhof-Ring weiter gesteigert werden.

Dem Erlass des Volkstheaters zur Stiftung des Conrad-Ekhof-Rings ist 1969 zu entnehmen, dass eine jährliche Verleihung angestrebt wird. Die Würdigung beinhaltete erstens eine Geldprämie in Höhe von 500 Mark, zweitens den eigens angefertigten Ring (siehe Abbildung) und drittens eine amtliche Urkunde. Satzungsgemäß durften nur Künstler vorgeschlagen werden, die eine mindestens fünfjährige Zugehörigkeit zum Volkstheater erfüllten oder „enge freundschaftliche Kontakte“ nach Rostock verband. Das Theater verpflichtete sich zur Übernahme sämtlicher Kosten und richtete die öffentlich zelebrierten Preisverleihungen aus.

Folgende 15 Preisträger konnten für den Zeitraum 1969-1983 ermittelt werden:

  • Preisträger aus dem Ensemble des Volkstheaters: Ralph Borgwardt, Hermann Wagemann, Gerd Micheel, Kurt Wetzel, Else Wolz, Heinz Buchholz und Dr. Hans-Joachim Theil und Hanns-Anselm Perten.

  • Preisträger aus der DDR-Kulturszene: Karin Seybert (Schauspielerin), Georg Hülsse (Grafiker) und Ilse Weintraut Rodenberg (Intendantin).

  • Preisträger aus der UdSSR: Aleksander Rodziewicz (Regisseur), Juri Petrowitsch Ljubimow (Regisseur), Rostislav Janaris Pljatt (Schauspieler) sowie das Ensemble des Staatlichen Schauspielhauses Riga.

Ungeklärt bleibt, wo sich der aus geschwärztem Silber angefertigte Ring heute befindet. Gleiches gilt für den Goldschmied, der ebenfalls unbekannt ist. Inspiriert vom Rostocker Conrad-Ekhof-Ring verleihen die Theaterfreunde Schwerin e. V. seit 1998 jährlich einen mit 2.500 Euro dotierten Ekhof-Preis.

(Text: Seraphin Feuchte, Historisches Institut der Universität Rostock)

Objekt des Monats Februar

Filzhut aus Biberhaar

© Göran Schmidt, Livrustkammaren. Die breite Krempe konnte beliebig geformt werden und galt daher auch als „Stimmungsbarometer“ des Trägers. Häufig wurden Filzhüte aus Biberhaar mit Federn und Bändern geschmückt. Dieses Exemplar von 1647 diente als Prototyp für die Ausstattung der Hofgarde der schwedischen Königin Christina und trägt die Aufschrift „Prof Hatt för Drottning Christina Hof Guarde”.

Im Mittelalter galt das Tragen von Hüten als Merkmal des ständisch höhergestellten, freien Mannes. Spätestens seit dem Ende des 16. Jahrhunderts gehörte der Hut jedoch zur verbindlichen Etikette bzw. zum Bekleidungsstandard der europäischen Gesellschaften. Neben seinem funktionellen Charakter zentrierten sich insbesondere Symbolisierungsprozesse und soziale Praktiken um die modisch variierende Kopfbedeckung. So kam dem Haupt als Ort männlicher Autorität, Repräsentation und Ehre ein herausragender Stellenwert im frühneuzeitlichen Körperbild zu. Hüte fungierten deshalb auch als Vehikel der Gebärdensprache und nonverbalen Kommunikation. Bei sachgerechter Handhabung ermöglichten sie es ihren Trägern Respektsbezeugung aller Art, Unterwürfigkeit, Flehen aber auch Aggression und Protest Ausdruck zu verleihen. Das Entblößen des Kopfes als Geste der Ehrerbietung perpetuierte sich in sprachlichen Metaphern wie „Hut ab/den Hut ziehen“. Aber auch Redewendungen wie z. B. „klein mit Hut“, „den Hut aufhaben“, „alles unter einen Hut bringen“ oder selbigen „an den Nagel hängen“, fanden Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch.

Darüber hinaus konnte ein Hut nicht nur die physische Gestalt seines Trägers erhöhen. In der hierarchischen und primär durch Ungleichheit gekennzeichneten Gesellschaft der Frühen Neuzeit erhob ein Hut seinen Besitzer auch symbolisch und verlieh dessen Standeszugehörigkeit, also seiner gesellschaftlichen Stellung respektive seines Anspruchs darauf, Geltung. Als weithin sichtbarer Alltagsgegenstand und Statussymbol, den Bürgerliche wie Adlige im selben Maße nutzten, verbreiterte sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts die Krempe der Hüte und ihre Krone wuchs zunehmend. Im Wettbewerb um soziale Anerkennung und Distinktion konnten sich die Träger der, auch als Puritaner- oder Holländerhut bezeichneten Kopfbedeckung, jedoch insbesondere aufgrund deren unterschiedlicher Qualität und Verarbeitung absetzen. Breite Bevölkerungsschichten mussten sich mit Hüten aus Schafswolle oder einfachen Filz, welcher beispielsweise aus Kaninchenfell gewonnen wurde, begnügen. Qualitativ hochwertige Hüte hingegen wurden aus Biberhaar hergestellt. Das Unterfell des Nagetiers – lateinisch Castor – eignet sich hervorragend für die Herstellung feiner, elastischer, vor Wärme und Kälte isolierender sowie nichtbrennbarer Filzhüte von enormer Langlebigkeit und luxuriösem Glanz. Da diese nicht nur zur Ausstattung und Uniformierung der ersten stehenden Heere gehörten, sondern bald auch die Köpfe der Frauen und Kinder zierten, stieg der Bedarf an Biberpelz rasch. Infolge der Kultivierung und Trockenlegung der europäischen Böden und einer entsprechenden Bejagung existierten auf dem Kontinent um 1600 jedoch kaum noch Biber.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gelang es erstmals vorrangig Holländern und Franzosen, später auch Engländern, entlang der nordamerikanischen Ostküste, dauerhafte Stützpunkte zu etablieren. Bei der indigenen Urbevölkerung tauschten die Händler primär Biberpelze für die Hutproduktion gegen europäische Fertigwaren ein. Der Kontakt mit der alten Welt hatte massive Auswirkung auf die Kultur der First Nations und Native Americans. Deren bereits untereinander bestehenden Rivalitäten dramatisierten sich im weiteren Verlauf und eskalierten infolge des Eingreifens der Europäer, die ihrerseits um den Zugang zum lukrativen Pelzhandel konkurrierten, in den sogenannten Biberkriegen (1640-1701). Als schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts der aus Seide gefertigte Zylinder aufkam, verdrängte er schlagartig den Kastorhut. Der sinkende Bedarf an Pelz und entsprechende Schutzmaßnahmen sorgten für die Regeneration des einst stark gefährdeten Biberbestands.

Das Objekt des Monats Februar, das 1647 für die Leibgarde der Königin Christina von Schweden gefertigt wurde, erinnert uns heute an die erste wirtschaftliche Nutzung des nordamerikanischen Kontinents durch Europäer und dessen Folgen.

(Text: Jakob Kotlowski, Historisches Institut)

 

Objekt des Monats Januar

Am Freitag, den 20. August 1148, verstarb Anna, die Mutter eines Mannes namens Grisandus, der als Kleriker unter Roger II. tätig war. Ihr Sohn ließ sie zunächst in der Kathedrale von Palermo beisetzen, wo ihr Grab durch eine schlichte Grabplatte markiert wurde, auf der eine lateinische Inschrift zu finden war. Dieses erste Epitaph ist heute nicht mehr erhalten.

Grisandus begann daraufhin eine Kapelle in der griechischen Kirche San Michele de Chufra (später unter San Michele Arcangelo bekannt) in Gedenken an seine Mutter zu errichten. Diese Kapelle wurde schließlich im April 1149 fertiggestellt und die Gebeine seiner Mutter Anna wurden an einem Freitag, den 20. Mai 1149, in die neue Grablege überführt. Dort wurde das Grab vorerst sowohl mit der ersten lateinischen Grabplatte als auch mit einer neu hinzugefügten, viersprachigen Marmorplatte markiert. Dabei handelte es sich um ein unregelmäßiges Polygon mit sechs Ecken, von denen vier ein nahezu reguläres Rechteck bilden, während die übrigen zwei Ecken mittig zulaufend den oberen Abschluss des Grabsteins bilden. Diese Form erinnert auf den ersten Blick an ein Haus, was in der Symbolik eines Grabes als „domus aeterna“ nicht ungewöhnlich erscheint. Der Grabstein misst 40 cm in seiner Länge und 32 cm in seiner Höhe, wenn die mittlere Achse gemessen wird.

Die Anordnung der unterschiedlichen Elemente auf dem Grabstein ist klar strukturiert: Das zentrale Motiv ist das mittig eingefügte griechische Kreuz, welches zusätzlich durch farbige Stein-Inkrustationen hervorgehoben wird, die sich in kleinen seitlich schrägen Feldern um das Kreuz befinden und ihm so eine quadratisch-anmutende Rahmung geben. Die Mittenbetonung wird weiterhin durch die beiden seitlich symmetrischen Schrägen des oberen Teils unterstützt, die außerdem auch dazu dienen, den oberen Teil der Grabplatte mit dem Unteren optisch zu verbinden. Innerhalb der Einkreisung und zwischen den vier Kreuzarmen wurden in den vier freien Feldern die abgekürzten griechischen Inschriften IC. XC. NIKA eingefügt, was für „Jesus Christus siegt“ steht – eine gängige Inschriftenformel in der griechischen Epigraphik, was wiederum deren Einfluss auf die lateinische Epigraphik Siziliens zeigt.

Um das Kreuz in der Mitte ordnen sich die vier mehrsprachigen Inschriften-Tafeln. An den Seiten finden sich die christlichen Inschriften: die Lateinische auf der linken sowie die Griechische auf der rechten Seite des Kreuzes. Unterhalb steht die arabische und oberhalb findet sich die hebräische Inschrift. Die mehrsprachigen Inschriften sowie die darin enthaltenen Informationen lassen auf eine multikulturelle sowie auch multireligiöse Familie schließen. Grisandusʼ Mutter Anna war höchstwahrscheinlich eine dem östlichen Christentum angehörende Griechin oder zumindest Nachfahrin von Griechen. Sein Vater Drogo entstammte wohl der normannischen Führungsschicht. Grisandus selbst reiht sich daher mit seiner Position als Kleriker am Hof Rogers II. in eine Führungsschicht ein, die exemplarisch für eine interkulturell aufgestellte Administration war.

Das viersprachige Anna-Epitaph spiegelt wie wenig andere Quellen die vier zentralen Sprach- und Kulturgruppen Siziliens und somit die Komplexität des multikulturellen Mittelmeerraums des Hochmittelalters wider. Die hier ausgewählte Grabinschrift des Grisandus ist das Zeugnis einer Familie, die als Beispiel für die kulturelle Diversität der Mittelmeerinsel gelten kann.

(Hanna Wichmann, Promotionsstudentin am Historischen Institut)