Der Historiker Anton Schindling (UNI Tübingen) beschrieb die Universität Rostock 1994 und 1999 als eine Stätte akademischer Bildung, die zwischen 1650 und 1800 von „einer Familienoligarchie von ‚Erb-Professoren‘“ gesteuert worden sei. Sein Schüler Matthias Asche (UNI Potsdam) nannte die Rostocker Universität 2000/2010 eine „Versorgungsanstalt für Angehörige des Lehrpersonals“ und formulierte, dass „die Einheirat in eine der Rostocker Professorendynastien“ über weite Strecken der Frühen Neuzeit hin „die beste Voraussetzung“ gewesen sei, „einen Lehrstuhl in Rostock zu bekommen“. Kritiker der familialen Strukturen, welche die Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit prägten, verwiesen und verweisen auf die negativen Folgen, welche die Formierung „geschlossene[r] Heiratskreise sozialer Inzucht“ (so Hermann Mitgau 1968) in der europäischen Frühneuzeit für die Wissenschaften, für die akademische Lehre und für die Gesellschaft im Allgemeinen gehabt habe.
Der Vortrag fragt am Beispiel der Universität Rostock nach dem „Sitz im Leben“, insbesondere nach den spezifischen Funktionen, Leistungen und Kosten, die das sozial- und bildungsgeschichtliche Phänomen frühneuzeitlicher „Familienuniversitäten“ und „Universitätsfamilien“ vor dem Hintergrund der Ständegesellschaft jener Zeit hatte. Im Zentrum der Ausführungen steht das Fallbeispiel der „Professorendynastie“ Quistorp, die in Rostock zwischen 1615 und 1766 allein sechs Lehrstuhlinhaber stellte, insbesondere lutherische Theologen. Die Theologen Quistorp hinterließen umfangreiche handschriftliche Aufzeichnungen zur Familiengeschichte zwischen 1615 und 1766, die 2021 als Band 33 der Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte publiziert werden konnten (https://doi.org/10.18453/rosdok_id00003108; http://d-nb.info/1240322429) und die im Rahmen der Veranstaltung als eine bedeutende Erkenntnisquelle zur „Familienuniversität“ der Frühen Neuzeit und zur Memorialkultur einer „Universitätsfamilie“ vorgestellt werden sollen.
Dr. Peter Arnold Heuser ist seit 2015 Research Fellow am Zentrum für Historische Friedensforschung (ZHF) der Universität Bonn.
Zeit: Dienstag, 31.05.2022, 17.15–18.45 Uhr
Ort: Kulturhistorisches Museum (Kloster zum Heiligen Kreuz, Klosterhof 7)