Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte

[Derzeit in Bearbeitung]

Der Zeitraum zwischen 500 und 1500 und damit ein ganzes  Jahrtausend wird vom Lehrstuhl für Mittelalterliche  Geschichte vertreten. Die Miniatur einer Handschrift der „Grandes Chroniques de France“  aus der Bibliothek des französischen Königs Karls V. (1364-1380) vermag diesen großen Zeitraum zu versinnbildlichen: Dargestellt ist die legendär ausgeschmückte Taufe des Merowingerkönigs Chlodwig I., die in der Datierung (wohl 498) und in ihrem Ablauf nicht sicher rekonstruiert werden kann.

Im vorliegenden Exemplar der zur offiziösen Geschichtsschreibung der französischen Könige erhobenen Chronik wurde aus der Hinwendung eines römischen Föderatengenerals zum christlichen Glauben der Beginn des französischen Königtums. Bereits im 9. Jahrhundert hatte ein einflussreicher Autor diese Deutung vorbereitet, indem er in seinem Bericht dem Taufakt die Salbung und eine weiße Taube mit dem benötigten Salböl beifügte. Vom vorliegenden Bild, das mit einem Ereignis des Frühen Mittelalters und seiner Darstellung im 14. Jahrhundert fast den gesamten Zeitrahmen des Mittelalters anspricht, eröffnen sich zahlreiche Deutungshorizonte, die von der Bedeutung der Antike für das lateinische Mittelalter über die maßgebliche Prägung der Epoche durch die christliche Religion bis zur Legitimation königlicher Herrschaft reichen können.

Humanisten des 16. Jahrhunderts haben dieses Jahrtausend äußerst wirkungsvoll in den schwärzesten Farben gezeichnet, um ihre eigene Zeit und ihre persönlichen Leistungen nachhaltig aufzuwerten. Tatsächlich erscheint das Mittelalter vor der Folie unserer Gegenwart auf den ersten Blick als rückständiger und wenig anziehender Zeitraum: Eine Agrargesellschaft, in der persönliche Freiheit selten, Gleichberechtigung der Geschlechter weitgehend unbekannt, Lesekenntnisse zumeist einer schmalen Elite vorbehalten, dafür aber frömmelnder Aberglaube, autoritäre Hierarchien, rohe Gewalt, Krankheiten und Seuchen, Hungersnöte und Armut weit verbreitet waren. Wer sich allerdings bemüht, der Epoche unvoreingenommen gegenüberzutreten, gewinnt überraschende Einsichten: Das Mittelalter war auch eine Zeit dynamischen Wandels. Sie wurde geprägt von Klimawandel und eindrücklichen demographischen Kurven mit starken Bevölkerungszunahmen und seuchenbedingten Einbrüchen. Innovationsfreudige Eliten legten die Grundlagen der modernen Wissensgesellschaft. Neuerungen revolutionierten Transportwesen, Wirtschaftsleben und Kriegsführung. Die Menschen experimentierten mit bemerkenswerten Formen genossenschaftlich-autonomer Selbstorganisation, die in Form der Städte wegweisend für die Moderne werden sollten, und auch die Verrechtlichung der Sozialbeziehungen hat ihre Wurzeln im Mittelalter. Die überlieferten Quellen lassen dabei auch gelegentlich die anthropologisch-überzeitliche Dimension menschlicher Existenz deutlich hervortreten und konfrontieren uns mit Krisenverhalten, dem Umgang mit Angst oder der Lernfähigkeit von Gruppen. Gerade bei der Betrachtung derartiger Phänomene wird deutlich, dass herrschaftlichen oder sprachlichen Grenzen im Lateineuropa des Mittelalters eine geringere Bedeutung zukam als in der Moderne. Das Millennium zwischen dem Ende des weströmischen Reiches und der Entdeckung der Neuen Welt erscheint somit mal fern und fremd, mal nah und vertraut. Das Programm des Rostocker Lehrstuhls umfasst Lehrveranstaltungen zu allen Teilepochen der Mittelalterlichen Geschichte in großer thematischer und räumlicher Breite und erschließt damit Wege zu einer Vergangenheit, die uns mit faszinierender Andersartigkeit ebenso wie mit unerwarteter Aktualität in ihren Bann zu ziehen vermag.