Projektskizze

Gleichgeschlechtliche Sexualität in der Frühen Neuzeit (1586–1821)

(Dissertationsprojekt)
Betreuer: Prof. Dr. Hillard von Thiessen

Als im Zuge von Reformation und Konfessionalisierung die Ehe als gottgewollte Lebensform deutlich aufgewertet wurde, da sie als Ort des christlichen Glaubens und Liebesbeweises verstanden wurde, hatte dies auch Auswirkungen auf das Verständnis und die Bewertung von Sexualität. Die Etablierung des Ehebundes als Schwelle zur einzig legitimen Sexualität hatte zur Folge, dass jede Form von außerehelich gelebter Sexualität sowie zahlreiche Sexualhandlungen von den weltlichen und geistlichen Obrigkeiten zunehmend kriminalisiert wurden. Kirchliche Verordnungen sowie Reichs- und Partikulargesetze verzeichneten alle Vergehen, die nach der zeitgenössischen Sexualmoral eine Fortpflanzung be- und verhinderten, „wider die natur“ waren und den Ehebund bedrohten. Die Liste der fleischlichen Vergehen war lang und benannte u. a. Ehebruch, Prostitution, vorehelichen Geschlechtsverkehr, Notzucht und Inzest. Zu diesen Verbrechen gehörte auch die Sodomie, worunter in der Frühen Neuzeit sowohl die Unzucht eines Menschen „mit eynem vihe“ als auch gleichgeschlechtliche Sexualhandlungen verstanden wurden (vgl. Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1535). Die Dissertation thematisiert das zuletzt genannte Vergehen. Der Untersuchungsgegenstand des Forschungsprojekts ist die Rekonstruktion von Wahrnehmungen und Erfahrungen von gleichgeschlechtlicher Sexualität in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Auf der einen Seite soll in dieser Arbeit das Wissen über das Phänomen gleichgeschlechtliche Sodomie sowie dessen Deutung und Bewertung auf der Ebene der Gelehrten untersucht werden. Auf der anderen Seite sollen die Beobachtungen, die Reaktionen und die Bewertungen auf der Ebene des direkten sozialen Umfeldes der Beteiligten rekonstruiert werden. Somit stehen im Zentrum der Betrachtung die Personen und Institutionen, die mit diesem sog. sodomitischen Laster konfrontiert wurden (z.B. Zeugen vor Gericht, Juristen, Geistliche, Verwandte und Nachbarn), aber auch Menschen, die sich vor Gericht wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Sexualhandlungen verantworten mussten. Das Ziel der Arbeit ist es, zu untersuchen, wie Gelehrtendiskurse, gesellschaftliche Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie die Praxis der Obrigkeiten zueinander standen.