Institutsgeschichte

Geschichtswissenschaft als eigenständige akademische Disziplin – das ist eine Entwicklung, die in ganz Europa mit der Spezialisierung von Wissenschaft und der Entstehung neuer Fächer im 19. Jahrhundert einsetzte. Ein „Historisches Seminarium“ wurde an der Universität Rostock im Jahr 1865 gegründet. Doch Geschichtswissenschaft wurde an der Rostocker Universität weit vor der Gründung dieses „Seminariums“ betrieben. Ein Blick zurück zeigt die Entwicklung.

Im frühen 16. Jahrhundert richtete die Universität ,Lektorenstellen’ für die Erklärung – meist antiker – historiographischer Werke ein. In Rostock hat möglicherweise ein Magister Johannes Kruse (Crusse) 1520 die ,Babylonische Geschichte’ des Berosos (4. Jh. v. Chr.) öffentlich erörtert – er wäre damit so etwas wie ein Vorreiter der historischen Kritik geworden. Albert Krantz (1448-1517), der Begründer der nordeuropäischen Geschichtsschreibung, studierte und lehrte lange Jahre in Rostock. In Nikolaus Marschalk (1460/70-1525) hatte die Universität einen Juristen und Philologen gewonnen, dessen regionalgeschichtliche Forschungen lange nachwirkten. An den meisten protestantischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich waren es während der Reformation und das ganze 17. Jahrhundert hindurch Theologen, welche Universal- und Reichsgeschichte lehrten. So auch in Rostock, wo dies vor allem der Melanchthonschüler David Chyträus (1530-1600) tat.

Anders als an der 1734 neugegründeten Universität Göttingen spielte die Geschichte in Rostock im ganzen 18. Jahrhundert jedoch keine herausgehobene Rolle. ‚Geschichte‘ war keine spezielle Disziplin, sondern blieb weiterhin ein Ergänzungsfach für Juristen, Staatswissenschaftler und Alt- und später auch Neuphilologen. 1836 findet sich mit Immanuel Karl Friedrich Türk (1800-1887) der erste Vollprofessor für Geschichte. Mit Carl Hegel (1813-1901), Reinhold Pauli (1823-1882) und Georg Voigt (1827-1891) berief Rostock junge, vielversprechende Forscher. Voigt erwirkte 1865 die Satzung für ein ,Historisches Seminarium auf der Universität zu Rostock‘. Die Geschichte blieb aber weiterhin, d.h. bis 1904, ein Einmannbetrieb, aus dem Hegel, Pauli und Voigt bald nach Erlangen, Marburg und Leipzig wechselten. Der Althistoriker Walter Kolbe (1876-1943) war seit 1905 der erste permanente ’zweite Geschichtsprofessor‘ in Rostock. Mit dieser Doppelstruktur, einem ’Historischen Institut I’ (Alte Geschichte) und einem ’Historischen Institut II’ (Mittlere und Neuere Geschichte und Hilfswissenschaften), gingen die Rostocker Historiker in die Weimarer Republik und schon 1932 in die NS-Ära.

Ein 1939 gegründetes ’Institut für Vorgeschichte’, völkisch ausgerichtet und von SS-Mitgliedern geführt, stand mehr ‚im Felde’ als im Dienst der Wissenschaft. Mit nur zwei, in der NS-Ära zurückhaltend agierenden Professoren, dem Althistoriker Ernst Hohl (1886-1957) und dem Mediävisten Heinrich Sproemberg (1889-1966), überstand das Institut den Zusammenbruch von 1945 und erreichte damit die Phase der frühen DDR. Nach der Beseitigung der föderalen Strukturen und dem Aufbau zentralistischer Lenkungsinstitutionen büßte das Institut jeden eigenverantwortlichen Handlungsspielraum ein. In der zweiten ‘Hochschulreform’ (1951/52) wurde auch in Rostock ein vierjähriges Planstudium mit jeweils zehnmonatiger Dauer eingeführt. Darüber hinaus wurde das Fach eng an die neugegründeten ’Gesellschaftswissenschaftlichen Institute’ gebunden, während die Ausbildung von Lehrern oberste Priorität erhielt. In der dritten ’Hochschulreform’ (1967ff.) erfuhr das Fach als ‘Sektion Geschichte’ einen erheblichen personellen Ausbau bis auf 70 Mitglieder, einschließlich der Forschungsstudenten, und umfasste auch die Altertumswissenschaften und zeitweise die Musikhistorie. Das Forschungsspektrum wurde ausgedehnt, z.B. auf Agrargeschichte, andererseits jede Doppelung zu einer anderen geschichtswissenschaftlichen Einrichtung der DDR unterbunden. In beträchtlichem Maße wurde die Sektion nach 1968 zum Dienstleister des Zentralrates der FDJ. In Rostock wurde nun auch Lateinamerikageschichte, Afrikageschichte und Wissenschaftsgeschichte betrieben, dies freilich teilweise außerhalb der ‘Sektion Geschichte‘, so dass eine Integration dieser Ansätze in ein tragfähiges Gesamtprogramm nicht gelungen ist.

In und nach der Wendezeit teilte die ’Sektion Geschichte’ das Schicksal aller historischen Institutionen der DDR. Die strukturelle Nähe zu Partei- und Staatsapparat und ihren speziellen Legitimationsbedürfnissen legte einen völligen Neuanfang nahe, der nur wenigen Historikern berufliche Kontinuität ermöglichte. 1993 wurde die ’Sektion Geschichte’ wieder in ein ’Historisches Institut’ und ein ‚Institut für Altertumswissenschaften’ (Schliemann-Institut) geteilt und das Historische Institut mit fünf epochal bzw. methodisch ausgerichteten Professuren neu besetzt. 2015 trat an die Stelle des Lehrstuhls für Historische Methodologie und Geistesgeschichte eine Professur für Geschichtsdidaktik. Durch alle Epochen hindurch verfolgen die Mitglieder des Instituts heute in Forschung und Lehre eine vergleichende und an Verflechtung interessierte europäische Ausrichtung, wozu zunehmend auch globalgeschichtliche Perspektiven treten. Mit der Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland unterhält das Institut eine ergänzende Forschungsstelle in der Zeitgeschichte, die vor allem die Aufarbeitung der Geschichte der DDR vorantreibt.

(Text: Prof. Dr. Markus Völkel/Prof. Dr. Ulrike v. Hirschhausen)