Adel in der SBZ/DDR 1945-1990

Adelsgeschichte erfährt seit jeher große Aufmerksamkeit. In der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts blieben Adlige weiterhin präsent, obwohl durch die Weimarer Verfassung der Adel als Stand abgeschafft wurde. Ein wesentlicher Grund für das Weiterleben des Adelsbegriffs war und ist der Name. Das Prädikat zwischen Vor- und Nachname ließ die Akteure äußerlich stets als Vertreter des ehemals hervorgehobenen Standes erscheinen. Die Adelsgeschichte endet deshalb nicht mit der Novemberrevolution 1918, sondern dauert bis heute an. In den vergangenen zwanzig Jahren entstanden mehrere Arbeiten, die sich der Adelsgeschichte des 20. Jahrhunderts widmen, jedoch nur der ersten Hälfe. Eine Studie über die in der DDR lebenden adligen Akteure fehlt bisher gänzlich.
Das Jahr 1945 bedeutete für die ostelbische Kulturlandschaft sowie für die sächsischen und thüringischen Gebiete eine nie dagewesene Zäsur. Die über mehrere Jahrhunderte etablierte Gutswirtschaft hörte auf zu existieren. Die Novemberrevolution und die Verfassung der Weimarer Republik hatten zwar die Staatsform der Monarchie und den Adelsstand aufgelöst, jedoch waren die einstigen Eliten auf lokaler Ebene weitestgehend unangetastet geblieben. Die konsequente Durchführung der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone seit September 1945 bedeutete für die Besitzer nicht nur den Verlust ihrer Güter und Ländereien, sondern war zugleich mit einer Ausweisung vom Wohnort verbunden. Die Aktion „Junkerland in Bauerhand“ ist folgerichtig mit dem Exodus zahlreicher adliger Familien verbunden. Großgrundbesitz, eine wesentliche Konstante adliger Identität, war nunmehr nicht mehr möglich und bedeutete zugleich den Verlust der familiären Erinnerungsorte und damit die Abgrenzung gegenüber bürgerlichen Familien. Die Untersuchung setzt demzufolge bereits vor der eigentlichen Staatsgründung der DDR ein.
Die Geschichte des Adels in der DDR ist immer eine gesamtdeutsche Geschichte. Vertreibung und Flucht zahlreicher adliger Akteure in die westalliierten Besatzungszonen und später in die Bundesrepublik sind hierfür ursächlich. Von den oftmals großen Familien blieben nur  einige wenige Vertreter in der DDR. Die Beziehungen und das Verhältnis der Familienmitglieder zwischen Ost und West, insbesondere nach dem Ausbau der innerdeutschen Grenze nach 1961, werden in der Untersuchung einen Schwerpunkt bilden.
Die Dissertation beschäftigt sich außerdem mit der Frage, wie die verbliebenen adligen Akteure mit der neuen Situation umgingen. Entwickelte sich eine eigene sozialistisch geprägte Adelsidentität? Welche Elemente des traditionellen adligen Selbstbildes wurden bewahrt? Wie wirkte sich das neuentwickelte, aber traditionsverbundenere Adelsbild der Bundesrepublik auf die Familienangehörigen in der DDR aus? Die Wiedergründung bzw. die Fortführung der adligen Familienverbände waren in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR nicht möglich. Eine Mitgliedschaft in den westdeutschen Adelsverbänden war offiziell nicht gestattet. Daher bleibt zu fragen, inwieweit sich alternative, informelle Formen des Zusammenschlusses entwickelten.
Neben den Akteuren soll außerdem die Entwicklung des „Junkerbegriffs“ in der DDR untersucht werden. Die Auswertung der offiziellen Definitionen ist hierbei nur ein Teil der Untersuchung. Vielmehr sollen die gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen dieser Deutungen verfolgt werden. Welchen Einfluss hatte der zumeist negativ besetzte Begriff „Junker“ auf die Außenwahrnehmung und das Selbstbild der adligen Familien in der DDR? Die Musealisierung des adeligen Erbes, das durch sogenannte „Schlossbergungen“ in Museen überführt wurde, soll ebenfalls untersucht werden. Die Präsentation in ausgewählten Heimatmuseen und im „Feudalismusmuseum“ Wernigerode sind eingehender zu untersuchen.
Neben dem zumeist negativen Bild des „Junkers“ in der Öffentlichkeit entwickelte sich auch eine positive Betrachtung ausgewählter Akteure adliger Familien und Akteure. Diese Personen, obwohl zur Gesellschaftsklasse der „Junker“ und „Feudalisten“ gehörend, wurden nunmehr zum positiven Bestandteil der sozialistischen Geschichtserzählung und zu militärischen Leitbildern der Nationalen Volksarmee. Medial präsente Schauspieler, Wissenschaftler und Journalisten wie Gustav von Wangenheim (1895–1975), Manfred von Ardenne (1907–1997) und Karl-Eduard von Schnitzler (1918–2001) zeigten ebenfalls, dass selbst gebürtige „Klassenfeinde“ die Richtigkeit des Sozialismus erkannt hatten. Ihre eventuell größere politische Bedeutung, die aufgrund ihres Namens genutzt wurde, soll untersucht werden.
Das Projekt zeigt, Adelstitel und adlige Familiennamen konnten für die Träger sowohl Marke als auch Makel sein bzw. werden. In diesem Spannungsverhältnis bewegten sich die Mitglieder der in der DDR lebenden adligen Familien, aber auch ihre Verwandten in der Bundesrepublik.

Kontakt: jakob.schwichtenberg(at)uni-rostock.de