Objekt des Monats Dezember 2017

Der Schlüssel der Bastille

Copyright Mount Vernon Ladies´Association

Der Schlüssel der Bastille, dem zentralen Gefängnis von Paris, war ein transatlantisches Geschenk der besonderen Art. Im Frühjahr 1790 wurde der Schlüssel aus der von Revolutionsstürmen erschütterten französischen Hauptstadt nach New York gebracht und George Washington, dem gerade berufenen, ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, übergeben.

Was erklärt diese transatlantische Gabe? Warum wanderte ein organisatorisch so wichtiger und symbolisch so aufgeladener Gegenstand wie der Zentralschlüssel des Pariser Gefängnisses 1790 in die Hände eines Amerikaners? „Amerikanische Prinzipen … haben die Bastille geöffnet…darum kommt der Schlüssel an den richtigen Platz“, begründete es der Brief, der den nachtblauen Schlüssel, etwa 1 Pfund schwer und 18 Zentimeter lang, nach New York begleitete. Gesandt hatte den Schlüssel der französische Adlige, Revolutionär und General, Marie-Joseph Marquis von Lafayette. Lafayette war in den 1770er Jahren als Neunzehnjähriger nach Nordamerika gesegelt, um unter Washington für die Unabhängigkeit der Kolonien von Großbritannien zu kämpfen. Die enge Freundschaft zwischen Washington und Lafayette, die sich während der Unabhängigkeitskämpfe in Amerika entwickelte hatte, wurde während der Freiheitskämpfe in Paris neu aktualisiert: Denn Frankreich holte aus Sicht beider Männer jetzt das nach, was die USA zehn Jahre zuvor realisiert hatten.

Lafayette stand auch in Paris auf der Seite der Revolutionäre, als etwa 8000 bewaffnete Pariser Bürger am 14. Juli 1789 das Pariser Gefängnis, die Bastille, belagerten. Der Kampf gegen die Soldaten des französischen Königs war eher symbolisch, denn in der Bastille war kaum etwas - und schon gar keine politischen Gefangenen. Doch handlungsleitend war die Symbolik. Denn als die Pariser das leere Gefängnis stürmten, war ein Symbol des französischen Despotismus in den Händen des Volks und damit der reale Machtwechsel vom König zur Nationalversammlung erzwungen. Genau diese Symbolik verdeutlichte der Schlüssel, den Lafayette mit pathetischen Worten an Washington sandte: „Erlauben Sie mir, verehrter General, … Ihnen den Hauptschlüssel dieser Festung des Despotismus zu senden – als ein Tribut, den ich Ihnen schulde wie ein Kämpfer um die Freiheit sie dem Begründer dieser Freiheit schuldet.“

George Washington wusste, wie man ein Objekt dieser Klasse in Szene setzte: als Symbol für den Sieg des globalen Freiheitskampfes. Im August 1790 lud er alles, was in New York, der damaligen Hauptstadt der USA, Rang und Namen hatte, zu sich ein und präsentierte in der Mitte des Salons den nachtblauen Schlüssel der Bastille – ein „blockbuster exhibit“ (S. Georgini, Smithsonian.com), dessen Weg von Paris nach New York von der amerikanischen und französischen Öffentlichkeit entsprechend als Sieg der Freiheit über Unterdrückung gefeiert wurde. Wie situativ die transatlantischen Verflechtungen zwischen amerikanischen und französischen Revolutionären indes waren, zeigt der Wechsel der amerikanischen Politik weniger Jahre später. Washington, der mit dem französischen Schlüssel Beschenkte, kündigte bereits 1793 den politischen Rückzug der USA aus den europäischen Entwicklungen an, die sich immer wieder durch das 19., 20. und 21. Jahrhundert ziehen würde. Der Schlüssel hängt seit den 1790er Jahren in der Eingangshalle von Mount Vernon, dem Wohnhaus Washingtons in Virginia/USA, wo er besichtigt werden kann. Seinen heutigen Ort sehen Sie hier: http://www.mountvernon.org/site/virtual-tour/poi/29.html

(Text: Prof. Dr. Ulrike v. Hirschhausen)

Objekt des Monats November 2017

Das Frauendenkmal in Bloemfontein

Das 1913 eingeweihte „Nasionale Vrouemonument“ erinnert an das Leiden und Sterben der burischen Zivilbevölkerung in den Konzentrationslagern während des Südafrikanischen Krieges (1899-1902). Das britische Militär hatte auf die Guerillataktik der burischen Kommandos mit der Errichtung von Lagern reagiert, in denen sie mehr als eine Viertelmillion Menschen – weiße Buren, ebenso wie Afrikaner – internierte. Auch wenn es sich bei diesen Lagern nicht um Orte der gezielten Vernichtung handelte, kamen in ihnen aufgrund der schlechten Versorgungslage und ausbrechender Epidemien vermutlich über 50.000 Insassen ums Leben.

Das Monument besteht aus einem 36,5 Meter hohen Obelisken, einer zentralen Bronzeplastik, die zwei trauernde Frauen mit einem sterbenden Kind im Lager von Springfontein zeigt, und zwei flankierenden Reliefs. Eine Inschrift erklärt, dass dieses „nationale Denkmal“ den 26.370 Frauen und Kindern gewidmet ist, die in den Konzentrationslagern umgekommen sind. Mindestens so interessant wie das, was es zeigt, ist allerdings, was das Monument auslässt. Es verweist weder auf die etwa ähnlich große Zahl der afrikanischen Opfer in den sogenannten „black camps“ – ebenfalls meist Frauen und Kinder –, die auch in der Geschichtswissenschaft bis in die 1980er Jahre gänzlich ignoriert worden sind. Noch erwähnt es, dass ebenfalls mehr als 1500 burische Männer in den Lagern starben. Gerade angesichts dieser Leerstellen ließ sich das Denkmal im Laufe der folgenden Jahrzehnte problemlos in das Projekt des Afrikaander-Nationalismus einbinden, der Südafrika ab 1948 dominieren sollte. Den nationalistischen Narrativen folgend, hatten die burischen Männer durchweg bis zum „bitteren Ende“ gegen die Briten und für die Unabhängigkeit der Burenrepubliken des Transvaal und Oranje Freistaates gekämpft. Dass es eine nennenswerte Anzahl von Männern gab, sogenannte „Handsupper“, die freiwillig Unterschlupf in den britischen Lagern suchten, um nicht weiter für die burische Sache kämpfen zu müssen, passte nicht ins nationale Narrativ. Dementsprechend hatte auch ihr Tod auf dem „nationalen Denkmal“ nichts verloren.

(Text: Dr. Jonas Kreienbaum)

Objekt des Monats Oktober 2017

Hanseatenkrause

Prof. Dr. Thomas Klie - Universitätsprediger an der Universitätskirche Heilig Kreuz

Walter Kempowski beschreibt in seinem Roman „Uns geht’s ja noch gold“ den ersten Gottesdienst in der Rostocker Marienkirche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch ein auffälliges Kleidungstück des Superintendenten, der die Predigt hielt, hielt er für erwähnenswert: die ausladende Halskrause, auch „Mühlrad“ genannt, nur sehr aufwändig mit einem durch den Krieg geretteten Spezial-Plätteisen in Form zu halten.

Diese Krause ist aufgrund ihrer heute weitgehend auf einige norddeutsche Hansestädte – vor allem Hamburg und Lübeck – beschränkten Verbreitung auch als „Hanseatenkrause“ bekannt. Auch in Dänemark und Grönland ist sie nach wie vor Teil der Dienstkleidung protestantischer Pastoren. In Rostock, wo sie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg außer Gebrauch geriet, kann sie seit kurzem wieder als Teil der Ausstattung des Universitätspredigers bewundert werden. Auf unserer Darstellung trägt Prof. Dr. Thomas Klie sie als Universitätsprediger auf der Kanzel der Universitätskirche.

Zweifellos, die Halskrause ist ein eher umständliches, aus gestärktem weißen Leinen bestehendes Kleidungsstück, nicht gerade bequem zu tragen und vergleichsweise aufwändig in der Pflege. Aber es geht bei ihr gerade nicht um lässige und spontane casualness. Sie ist vielmehr hochgradig symbolisch aufgeladen, und diese Symbolik hat im Laufe der Zeit auch Änderungen erfahren. Entstanden ist sie in Spanien, wo sie zu einem Element der Hoftracht avancierte. Ausdrücken sollte sie dabei Würde, Distanziertheit und Strenge – mithin zentrale Werte der spanischen Hofkultur, die im 16. Jahrhundert zum Maßstab für distinguiertes Auftreten der europäischen Eliten wurde, für Gravität (spanisch gravedad). Sie wurde in Kombination mit dunkler, talarartiger Oberbekleidung getragen. Diese Art der Außendarstellung erlebte im 16. und frühen 17. Jahrhundert eine bemerkenswerte Konjunktur. Sie war in der Tat für eine Zeit, in der sich die Eliten vom gemeinen Volk abgrenzen und bestimmte Werte und Normen ausdrücken wollten, wie gemacht. Das von ihr begünstigte „gravitätische“ Auftreten diente dem Adel dazu, seine Tugenden zur Geltung zu bringen, ermöglichte den Amtmännern in den aufsteigenden Verwaltungen und Würdenträgern in den wachsenden Staats- und Kirchenapparaten, Distanz zu den vielen sozialen Bindungen, die das Gemeinwohl gefährdeten, auszudrücken oder doch wenigstens vorzutäuschen. Als „Würdenkrause“ hat Thomas Mann im „Zauberberg“ diese Funktion auf den Punkt gebracht.

Und mehr noch: die blütenweiße Farbe der Halskrause (in bewusstem Kontrast zum würdigen Schwarz des Talars) symbolisierte zudem Reinheit, eine Tugend, die dem evangelischen Prediger, der nur das reine Gotteswort auszulegen hat, gut zu Gesicht stand. Bemerkenswert ist, dass die Würdenfunktion der Krause die Konfessionsgrenzen übersprang, den Hals des spanischen Hofmanns ebenso schmückte wie den des niederländischen Großkaufmanns oder des norddeutschen Pastors. Als Ausdruck protestantischer Strenge und theologischer Reinheit blieb sie erhalten, während sie in der Hofkultur in der Mitte des 17. Jahrhunderts außer Mode geriet. Denn das gravitätische Ideal des spanischen Hofzeremoniells machte zunehmend der leichtfüßigeren honnêteté des französischen Hofadels Platz. Dabei lässt sich auch eine politische und nationale Symbolik der Halskrause erkennen: In Frankreich wurde sie Mitte des 16. Jahrhunderts nur kurz heimisch, und zwar vor allem im streng katholischen, der spanischen Krone nahestehenden Teil des Adels. Sie nicht zu tragen hieß, den spanischen Einfluss auf Frankreich abzulehnen. Somit ist die Halskrause Träger vieler und sich wandelnder Bedeutungen und auch ein markantes Beispiel für Kulturtransfer, von der höfischen Welt der iberischen Halbinsel bis auf die Kanzeln des nördlichen Europa.

(Text: Prof. Dr. Hillard von Thiessen)

Objekt des Monats September 2017

Das Grab von Jaskaran Singh

Foto: Dr. Maria Framke

Das Grab des indischen Soldaten Jaskaran Singh ist auf dem Indischen Friedhof Zehrensdorf im Brandenburgischen zu finden. Der Grabstein gibt Auskunft, dass der Hindu-Soldat, Angehöriger des Infanterieregiments der 89th Punjabis am 5. Februar 1915 verstarb. Prominent ist auf dem Stein das Mantra „Om Bhagvate namaha“ (Mit der Gnade Lord Vishnus) eingraviert.

Indische Soldaten – Hindus, Muslime und Sikhs – kämpften im Ersten Weltkrieg neben anderen kolonialen Truppen aus Afrika und Asien auf der Seite der Entente auch auf den europäischen Schlachtfeldern.

In der Nähe von Zossen entstanden im Kriegsverlauf mehrere Kriegsgefangenenlager für Soldaten aus aller Welt. Die dort inhaftierten Männer, insbesondere diejenigen aus Südasien, wurden von deutschen Wissenschaftlern, z. B. von Linguisten, Ethnologen und Musikwissenschaftlern, intensiv untersucht. Einen Teil ihrer Ergebnisse beherbergt das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin: www.lautarchiv.hu-berlin.de. Nach Kriegsende kehrten die meisten von ihnen in ihre Heimatländer zurück.

Die während der Internierung gestorbenen Kriegsgefangenen, aus Britisch Indien, Nord- und Westafrika, Georgien oder Armenien, wurden ab 1914 in einem Extrabereich des Zehrendorfes Dorffriedhofes bestattet. Der Friedhof hatte in den folgenden Jahrzehnten eine bewegte Geschichte. Nach Kriegsende übernahm die britische Kriegsgräberkommission die Verantwortung für die Gräber der Angehörigen der britischen Armee. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebiet des Friedhofs ab 1952 als sowjetischer Truppenübungsplatz zum militärischen Sperrgebiet. Das führte zur Zerstörung eines Großteils der ursprünglich aufgestellten Gräber und Ehrenmale. In den frühen 2000er Jahren begann dann die Wiederinstandsetzung des Friedhofes durch die Stadt Zossen in Zusammenarbeit mit der Commonwealth-War-Graves-Commission; so wurden z. B. die Commonwealth-Gräber und somit auch das Grab von Jaskaran Singh neugestaltet. Die Geschichte des Ersten Weltkriegs ist lange als eine primär europäische Geschichte geschrieben und verstanden worden. Dass es jedoch ebenso wichtig ist, seine Auswirkungen auf die Kolonien und die – oftmals nicht freiwilligen – Beiträge der kolonialisierten Menschen in den Blick zu nehmen, zeigt das zu kurze Leben von Jaskaran Singh. 

(Text: Dr. Maria Framke)

Objekt des Monats August 2017

Mäkelborger Döschflägel

Foto: Mario Niemann

Der Dreschflegel, ein etwa 1,20 m langer Stiel, an dem ein Schlagholz beweglich befestigt war, diente den Bauern und Landarbeitern noch bis in das 20. Jahrhundert hinein zum Ausdreschen des im Sommer geernteten Getreides. Die Drescher schlugen mit dem Dreschflegel solange auf die in der Scheune bereit gelegten Getreidebündel, bis alle Körner herausgefallen waren. Das Korn wurde dann vom Stroh und der Spreu getrennt und konnte anschließend in einer Mühle zu Mehl gemahlen und damit für die Ernährung nutzbar gemacht werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Dreschflegel allmählich durch die Dreschmaschine, ab den fünfziger Jahren dann durch den Mähdrescher ersetzt. Damit gehörte die schwere Arbeit des manuellen Dreschens der Vergangenheit an. An sie erinnert auch heute noch die Redensart „hei ät as ’n Schünendöscher“, wenn jemand mit großem Appetit oder sehr viel ißt.

(Text: Prof. Dr. Mario Niemann)

Objekt des Monats Juli 2017

Tipus Tiger

Tipu's Tiger © Victoria and Albert Museum, London

Tipu‘s Tiger, gebaut ca. 1793 in Mysore/Südindien, ist ein lebensgroßer Automat, der einen Tiger bei der Attacke auf einen britischen Soldaten zeigt. Den Automaten aus bemaltem Holz und Metall ließ Tipu Sultan (1750-1799), der Herrscher von Mysore, während seiner Kriege gegen die Armee der East India Company bauen. Im Inneren des Tigers befindet sich eine kleine Orgel-Klaviatur mit 17 Tasten. Der Automat wird mit einer äußeren Kurbel angetrieben und erzeugt entsprechende Geräusche, wie das Brüllen des Tigers und die Schreie des britischen Soldaten. Die für die Pfeifen verwandte Bronze stammt aus Mysore und wurde mit vermutlich französischer Mechanik kombiniert.

Was den Automaten so interessant macht, ist die enorm politische Botschaft, die sein Besitzer, Tipu Sultan, damit verband. Der indische Herrscher war einer der erbittertsten Gegner der britischen Expansion nach Indien. Vor allem durch den Import europäischer Waffentechnik und deren Weiterentwicklung in Mysore durch indische und angeworbene französische Ingenieure und Mechaniker stellte er eine hochmoderne Armee auf, welche die Soldaten der britischen East India Company nur durch Militärbündnisse mit den benachbarten indischen Herrschern besiegen konnten.

Tipu’s Tiger visualisiert zum einen die aktive Gegnerschaft dieses indischen Herrschers gegenüber den Briten, die erst in einem langwierigen Prozess Teile des Subkontinents zu erobern imstande waren. Zum anderen verweist der Gegenstand auf die technologische Modernität, die aus der Fusion indischer und europäischer Mechanik vor Ort erwuchs. Nach dem britischen Sieg über Tipu Sultan 1799 wurde der Automat in das Museum der East India Company gebracht und steht heute im Victoria and Albert Museum/London. Folgendes Video zeigt, wie er heute, über 200 Jahre nach seiner Herstellung, noch benutzt werden kann: https://www.youtube.com/watch?v=hhIIEv5Rt9g

(Text: Prof. Dr. Ulrike v. Hirschhausen)