Kolonialwarenläden ohne Kolonien?

Eine Forschungsreflexion von Phillipp Bertelsmann, Henrike Kant, Alicia Koch und Lara Mahncke

Abbildung 1: Werbung für Kakao aus Deutschen Kolonien (Copyright Rostock Postkolonial, https://postkolonial.soziale-bildung.org/)
Abbildung 2: Die Anzahl der Kolonialwarenläden in Rostock von 1880 bis 1950
Abbildung 3: Kolonialwarenladen am Neuen Markt Rostock (Copyright Kulturhistorisches Museum Rostock)

Welche Spuren der Kolonialgeschichte gibt es bis heute in Rostock? Wie gehen wir mit diesen Spuren um und wie verorten wir sie in der Kolonialgeschichte Deutschlands, Europas und der Welt? Mit diesen Fragen beschäftigte sich im Wintersemester 2022/2023 eine Gruppe von Geschichtsstudierenden am Historischen Institut der Universität Rostock. Angeleitet durch die Historiker Dr. Jonas Kreienbaum und Dr. Thomas Lindner entwickelten die Studierenden in Kleingruppen eigene Forschungsprojekte. Eine Auswahl der daraus entstandenen Texte präsentieren wir an dieser Stelle.

Als Forschungsprojekt haben wir uns mit dem Thema „Kolonialwarenläden in Rostock“ beschäftigt. Dabei interessierte uns die Anzahl der Kolonialwarenläden in Rostock und deren Entwicklung im 19. und im 20. Jahrhundert. In diesen Geschäften wurden Waren wie Kaffee, Kakao oder Tabak vertrieben. Als Quelle haben wir die gesamten Rostocker Adressbücher der Jahre 1880 bis 1950 ausgewertet und daraus das oben abgebildete Diagramm erstellt. Besonders aufgefallen ist uns folgendes: nachdem das Deutsche Reich seine Kolonien verlor, stieg die Anzahl der Kolonialwarenläden sogar an. Kann das stimmen? Gab es tatsächlich mehr Kolonialwarenläden ohne Kolonien?

Zunächst einige Erläuterungen zum erstellten Diagramm, in welchem die Anzahl der Kolonialwarenläden in absoluten Zahlen für jedes ermittelbare Jahr einzeln angegeben ist. Die Tendenz im Diagramm zeigt eine, mit einigen Schwankungen verbundene, kontinuierliche Zunahme an Kolonialwarenläden. Im späteren Abschnitt (1918-1950) weist die Abbildung einige Lücken auf. Ursächlich dafür ist, dass nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Adressbücher nur noch alle zwei Jahre erschienen. Außerdem fehlen einige Adressbücher in den späteren Jahrgängen, weil sie entweder nicht gedruckt oder nicht überliefert wurden. Auffällig im Diagramm sind vor allem drei Sprünge. Die erste starke Zunahme der Kolonialwarenläden zeigt sich 1896. Davor und danach verlaufen die Balken des Diagrammes konstant auf einer Höhe. 1924 wird der erste vorläufige Höhepunkt erreicht. Nach 1924 fällt das Diagramm ab, bis es 1932 seinen absoluten Höhepunkt erreicht. Ab 1932 stabilisiert sich  die Zahl der Kolonialwarenläden auf hohem Niveau.

Wie lassen sich diese Schwankungen und Entwicklungen erklären? Das Deutsche Reich hatte bereits Mitte der 1880er Jahre das Gros seiner Kolonien „erworben“. Im Jahr 1896, mit dem ersten signifikanten Anstieg der Anzahl an Kolonialwarenläden, fand in Berlin die erste deutsche Kolonialausstellung statt. Vielleicht stärkte dieses Massenevent, das der Popularisierung des kolonialen Projektes in der Gesellschaft dienen sollte, die Nachfrage nach Kolonialwaren in breiteren Bevölkerungsschichten. Auch begann für das Kaiserreich Mitte der 1890er Jahre eine anhaltende Phase der Hochkonjunktur, in der Neugründungen besonders erfolgsversprechend wirkten.

Eine Zäsur der deutschen Kolonialgeschichte stellte zweifelsohne der Erste Weltkrieg dar. Als Folge des Versailler Vertrags musste Deutschland alle Kolonien offiziell abgeben. Bemerkenswert ist, dass die Anzahl der Kolonialwarenläden nach 1919 weiter anstieg. Angesichts des Verlustes der Kolonien wäre anzunehmen, dass die Zahl der Kolonialwarenläden rückläufig war. Das Gegenteil zeigt sich im Diagramm. Die Läden waren für den Nachschub an Kolonialwaren offensichtlich nicht auf das deutsche Kolonialreich angewiesen, sie standen in einem europäischen vielleicht sogar in einem globalen Zusammenhang. Für den Rückgang der Kolonialwarenläden im Zeitraum von 1924 bis 1931 lassen sich nur schwer Gründe finden, daher kann hier keine Aussage getroffen werden. Dies stellt allerdings einen interessanten Ansatz für neue Forschungsprojekte dar. Ab 1932 stieg die Zahl der Kolonialwarenläden wieder. Das könnte am aufkommenden Interesse am „Kolonialismus“ liegen. Die Idee von Ausbeutung und Rassismus wurde von der nationalsozialistischen Führung befürwortet und passt zur ablehnenden Haltung der Nationalsozialisten gegenüber dem Versailler Vertrag. Die „koloniale Idee“, ob in Afrika oder in Osteuropa, rückte erneut in den Mittelpunkt der Gesellschaft.

Unsere eigene empirische Forschungsarbeit brachte jedoch auch Herausforderungen mit sich. Dazu gehörten unter anderem die Tatsache, dass wir nur mit den jeweiligen Adressen arbeiteten, weshalb nicht nachvollzogen werden konnte, inwieweit die Kolonialwarenläden verkauft und umbenannt wurden, oder den Besitzer wechselten. Des Weiteren ist beim Durchschauen der Adressbücher aufgefallen, dass nicht jeder Laden in jedem Jahr verzeichnet war, obwohl Läden in späteren Jahrgängen wieder auftauchten. Die Läden bestanden mit großer Wahrscheinlichkeit also fort. In unserer Analyse zählten wir nur die jeweiligen Läden, die auch in den entsprechenden Jahrgangsadressbüchern verzeichnet wurden. Deshalb könnte die Anzahl der Kolonialwarenläden für die aufgeführten Jahre teilweise noch höher sein. Ein weiterer Punkt, der während der Auswertungen auffiel, ist der Erwerb von neuen Läden. Einige Kolonialwarenläden umfassten ab einem gewissen Zeitpunkt mehrere Adressen, offensichtlich bauten sie ein Netz aus Filialen auf. Teilweise entstanden aus ehemaligen Kolonialwarenläden neue Fabriken. Die Geschäfte dieser Fabriken wurden in der Innenstadt eröffnet. Das größte Problem, welches während der Ausarbeitungen auftrat, war die Umbenennung von Straßennamen. Die Bezeichnungen und die Straßen selbst wurden teilweise geändert oder existieren heute nicht mehr. So gehört unter anderem die ehemalige Schmiedestraße heute zum östlichen Abschnitt der Langen Straße.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Rostocker Kolonialwarenläden exemplarisch zeigen, dass die Geschäfte mit den kolonialen Waren sehr wohl ohne Kolonien auskamen. Seitdem die Kolonien nicht mehr in deutschem Besitz waren, nahm die Anzahl der Kolonialwarenläden sogar zu. Koloniale Fantasien waren also auf real existierende Kolonien kaum angewiesen. Auch ohne eigenen Kolonialbesitz blieb Deutschland Teil eines größeren europäischen Kolonialprojekts.

 

 

Objekt des Monats Mai / Juni

Hegels Kaffeemaschine                  

Im Oktober 1807 bat der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der zu dieser Zeit in Bamberg lebte, seinen Freund Immanuel Niethammer, ihm eine Kaffeemaschine zu besorgen. Nicht einfach irgendeine sollte es sein, sondern „eine Rumfordsche Kaffeemaschine“ gab Hegel per Brief in Auftrag, die „am besten oder ausschließlich in München verfertigt werden“, wo wiederum Niethammer wohnte. Hegel, der als Hauptvertreter des Deutschen Idealismus gilt, versprach sich von der Erfindung Benjamin Thompson, Count von Rumfords nichts weniger, als dass sie helfen könne, seine Gedanken in Fluss und „etwas mehr Geist in [s]eine Beschäftigung“ als Redakteur der Bamberger Zeitung zu bringen. Drei Monate später bedankte sich Hegel mit den folgenden Worten bei Niethammer: „ich wollte Ihnen doch erzählen können, wie vortrefflich mir der Kaffee aus dieser den Wissenschaften verdankten Maschine schmeckte – auch davon, wie viel mein wissenschaftliches Treiben bereits diesem Kaffee verdanke“. Allerdings war er zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den Kaffeegenuss gekommen, weil ihm noch immer ein blecherner Wasserkessel fehlte, was Hegel zum Anlass nahm, die in Bamberg noch fehlende Wechselwirkung zwischen Industrie und Wissenschaften zu lamentieren.

Diese Anekdote gibt Anlass zu zwei Beobachtungen. Zum Einen finden wir in Hegels Brief das bis heute unter Studierenden, Lehrenden und weit über den Universitätsalltag hinaus verbreitete Stereotyp koffeinbedingter Produktivität. Dieses verweist auf die mit der Verbreitung europäischer Kaffeehäuser im 18. Jahrhundert geführten Debatten über die anregenden Eigenschaften von Kaffee und seine Auswirkungen auf die sogenannte aufgeklärte Geselligkeit sowie globale Verknüpfungen und koloniale Zusammenhänge, welche Hegel als aufmerksamem Zeitgenossen durchaus bewusst waren. Zum Anderen verweisen Rumfords Kaffeemaschine und Hegels Beschwerde auf die praktische Aufklärung und den Drang nach „Verbesserung“. In diesem Umfeld ist der Erfinder Rumford selbst eindeutig zu verorten, der sich aktiv um soziale Reformen und die Verbreitung nützlichen Wissens bemühte und von Joel Mokyr dem „Industrial Enlightenment“ zugeordnet wird. Jedenfalls lag Rumford daran, dass „die ausgezeichneten Eigenschaften des Kaffees“ allen zugänglich wären und sein einschlägiger Aufsatz beschreibt auch DIY-Alternativen. Nicht umsonst hatte er „keine Mühen gescheut, um herauszufinden, wie man [Kaffee] in höchster Vollkommenheit zubereiten kann“. Rumfords Aufsatz erschien allerdings erst 1812. In der Zwischenzeit zog Hegel nach Nürnberg, doch erschwerten geopolitische Umstände auch dort seinen Kaffeegenuss: mit Napoleons Niederlage und dem Ende der Kontinentalsperre bemerkte Hegel Ende 1813 in einem weiteren Brief an Niethammer, dass nun wenigstens wieder guter Kaffee zu haben sei.

Text: Dr. Elias Buchetmann, Universität Rostock

 

Objekt des Monats April

Bild & Copyright: „Landeshauptarchiv Schwerin, 1.12 Chroniken, Sign. 3: Wismarer Pastorenchronik; Rostocker Chronik, S. 200“

Über Jahrhunderte vergessen – das Tagebuch des Rostocker Bäckermeisters Joachim Schultze für die Jahre von 1646 bis 1693

Angesichts des Stellenwertes der Hanse- und Universitätsstadt Rostock als bedeutendste Stadt Mecklenburgs ist schon oft beklagt worden, dass -  in starkem Gegensatz zu der umfangreichen Überlieferung Rostocker Urkunden und Akten – chronikalische Quellen für Rostock insbesondere aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit nur in eher bescheidenem Maße vorhanden sind.

Umso erfreulicher ist daher die (Wieder)entdeckung des von dem Rostocker Bäckermeister Joachim Schultze (gestorben 1693) handschriftlich im Original überlieferten Tagebuchs für den Zeitraum 1646 bis kurz vor dessen Tode 1693.

Diese etwa 100seitige Quelle ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Chroniken und Tagebücher wurden in der Vergangenheit eher von Geistlichen und anderen Gelehrten, Ratsherren und Kaufleuten angefertigt, seltener von Handwerkern und einfachen Gewerbetreibenden wie einem Bäckermeister. So ist seit 1840 auch in Auszügen im Druck bekannt etwa das Tagebuch des Rostocker Ratsherrn und Brauherrn Matthias Pristaff (gestorben 1691) teilweise fast dieselben Jahre wie das Schultzsche Tagebuch, nämlich für die Jahre 1667 bis 1691. Das eröffnet selbstverständlich interessante Vergleichsmöglichkeiten zwischen beiden Texten, etwa bezüglich der  jeweiligen Schwerpunktsetzungen und Auswahl der festgehaltenen Ereignisse in Rostock und darüber hinaus. Das Hochdeutsch des Bäckermeisters ist oft umständlich, ungelenk und einfacher als das des Ratsherrn, die Orthographie sehr unstet und nicht selten nach dem Wortlaut ausgerichtet (z. B. „säer“ statt „sehr“). Immerhin verfügt auch der Bäcker selbst über zumindest rudimentäre Kenntnisse des Lateinischen. Eigenartig ist überdies, dass beide Autoren nicht nur Zeitgenossen waren, sondern auch jahrelang in unmittelbarer Nachbarschaft in der Rostocker Altstadt in der Altschmiedestraße / Ecke Große Goldstraße bzw. Gegenüber am Wendländer Schild wohnten. Im Haus des Bäckermeisters, das damals allerdings schon von seinem Sohn Michael, ebenfalls Bäcker, bewohnt wurde, brach am 11. August jenes große Feuer aus, das nicht weniger als ein Drittel der gesamten Stadt Rostock in Schutt und Asche legen sollte. Auch darüber berichtet Joachim Schultze in seinem Tagebuch ebenso wie über viele andere ihm wichtig oder merkwürdig erscheinende Ereignisse und Vorgänge in den Mauern Rostocks und darüber hinaus. Das reicht von der großen Politik, etwa der Belagerung Wiens 1683 und den in den folgenden Jahren sich anschließenden Erfolgen gegen die Türken in Ungarn, über die Besuche der beiden miteinander konkurrierenden mecklenburgischen Herzöge Christian Ludwig und Gustav Adolf sowie ihren Familien in Rostock, die Wahl Rostocker Ratsherren und Prediger in den Kirchspielen bis hin zu Kriminalfällen und Hinrichtungen, Naturerscheinungen (Kometen), Wetterunbilden (Sturmfluten) und Unglücksfällen (u.a. das Ertrinken in der Warnow).

Wiederentdecker dieser bemerkenswerten Quelle ist der ehemalige leitende Archivdirektor des Mecklenburgischen Landeshauptarchivs in Schwerin Dr. Andreas Röpcke, der das Tagebuch, zusammengebunden mit einer noch etwas älteren anderen mecklenburgischen Chronik 1994 aus Privatbesitz für das Schweriner Archiv erwarb. Als er sich jetzt Jahre später mit dieser älteren Chronik näher beschäftige, informierte er einen Rostocker Kollegen über die Rostocker Quelle in jenem Band. Offenbar war sie bis dahin so gut wie unbekannt geblieben. Unter einem dem vorigen Besitzer wurden lediglich die ersten Seiten des Tagebuches für die Jahre 1646 bis 1667 mit der Schreibmaschine aus unbekannten Gründen 0abgeschrieben.

(Text: Prof. Dr. Ernst Münch, Universität Rostock)

 

Objekt des Monats Januar

Erasmus+

Ein Auslandsaufenthalt bereichert das Studium und das Leben! Oftmals sind im Ausland gesammelte Erlebnisse besonders prägend, und Erfahrungen und Kontakte aus dieser Zeit gehören zu den wichtigsten, die man aus dem Studium mitnimmt. Im Ausland erworbene Kompetenzen (insbesondere Sprachkenntnisse) können von unschätzbarem Wert für das Studium und die berufliche Qualifizierung sein. Die Möglichkeit, mit dem Erasmus+-Programm an eine europäische Partneruniversität zu gehen, ist eine großartige Möglichkeit für Rostocker Studierende!

Das Historische Institut hat zahlreiche attraktive Partnerschaften. Sie können Geschichte studieren in Dublin oder Kopenhagen, in Nantes oder in Riga! Nutzen Sie diese Chance, ein Auslandsaufenthalt wird nie wieder so einfach und prägend sein.

Ein Erasmus+-Aufenthalt macht nach etwa der Hälfte ihres Studiums in Rostock am meisten Sinn. Etwa ein Jahr im Voraus sollte Sie mit der Planung beginnen. Sprechen Sie dazu bitte frühzeitig mit dem Beauftragten für Erasmus und Auslandsangelegenheiten (Dr. Thomas Lindner) oder wenden Sie sich an das Rostock International House (Daniel Reinecker). Wir helfen Ihnen sehr gerne weiter!

Weitere Infos finden Sie auf der Seite der Philosphischen Fakultät. Eine vollständige Liste unserer internationalen Partneruniversitäten finden Sie hier.