Anselm Pell MA
Kurt von Fritz-Promotionsstipendium

Handlungsspielräume eines Fürsten im Spannungsfeld von Normen und Rollen im Konfessionellen Zeitalter

Herzog Johann Albrecht II. zu Mecklenburg-Güstrow

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Herzog Johann Albrecht II. zu Mecklenburg-Güstrow

Johann Albrecht II. zu Mecklenburg-Güstrow (1590–1636) war, zusammen mit seinem älteren Bruder Adolf Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin (1588–1658), einer der beiden Fürsten, welche die Geschicke Mecklenburgs in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und damit in der Zeit des 30-jährigen Krieges maßgeblich mitbestimmten. In dieser Zeit verlor das Land seine politische und wirtschaftliche Potenz wie auch den Großteil seiner Einwohner. Die adligen Grundherren im Verband der Landstände traten als wichtiger Machtfaktor neben die Landesherren und schränkten deren Herrschaftsgewalt deutlich ein. Aus diesen Gründen wird die Regierung der Brüder in der Forschung bis heute als Beginn des Wegs in die Rückständigkeit Mecklenburgs angesehen. Zudem erschien die fürstliche Politik jener Zeit als rein reaktiv und darüber hinaus erfolglos, mithin uninteressant. Die 1621 erfolgte Landesteilung bei Zusicherung der Unteilbarkeit der Landstände sowie die Vertreibung der Herzöge durch Albrecht von Wallenstein im Jahre 1628 scheinen dieses Bild zu bestätigen. So fand das Leben und Wirken des jüngeren und früh verstorbenen Johann Albrecht II. kaum Beachtung. Er ist der einzige regierende frühneuzeitliche Mecklenburger Fürst, der keinen Eintrag in der Allgemeinen Deutschen Biographie beziehungsweise Neuen Deutschen Biographie hat.

Im Rahmen des Projekts soll untersucht werden, über welche Handlungsspielräume ein Fürst im frühen 17. Jahrhundert verfügte. Exemplarisch wird gezeigt, welche Möglichkeiten und Zwänge das Agieren und Reagieren Johann Albrechts II. beeinflussten und unter welchen Prämissen er Herausforderungen zu meistern versuchte. Dabei wird Oliver Auges Ansatz einer „Konstellationsanalyse“ aufgegriffen, die dieser für die Handlungsspielräume spätmittelalterlicher Herrscher im südlichen Ostseeraum vorgelegt hat. Angepasst an die Verhältnisse zu Beginn des 17. Jahrhunderts soll eine solche Analyse mittels der handlungsbestimmenden Themenfelder „Raum“, „Finanzen“, „Familie und Dynastie“, „verfassungsrechtliche Stellung“ sowie „Rangbewusstsein und Repräsentation“ erfolgen; Diese werden als Koordinaten eines Kräftefelds verstanden, in dem sich das Handeln eines Fürsten entfaltete und das diesem Grenzen setzte. Dabei spielte die bewusste bzw. aktive Erprobung der Handlungsspielräume eine ebenso große Rolle wie das unbewusste bzw. habituelle Agieren in deren Rahmen.

Johann Albrecht II. kann als Prototyp eines „kleinen“ Fürsten im Reichsverband gelten, dessen herrschaftliches Handeln auf den Erhalt seines eigenen Ranges gerichtet war. Er stand als jüngerer, an der Herrschaft beteiligter Bruder und Herrscher eines relativ kaiserfernen, bei den Landständen verschuldeten Territoriums in einem spezifischen Geflecht von Interessen und Zwängen, das es zu erhellen gilt. Sein Verhalten und damit die Verhaltensmuster, mit denen er auf diese Umstände reagierte, sind maßgeblich von Rollenerwartungen bestimmt worden. Diese sind als Bündel von Normen zu verstehen, welche auf den in einer Gesellschaft als gültig angesehenen Werten basieren. Zur Erklärung von Verhaltensweisen von Akteuren sind folglich die zeitgenössischen Normenhorizonte einzubeziehen.

Das von Hillard von Thiessen entworfene Konzept der „Normenkonkurrenz“ soll die oben skizzierte „Konstellationsanalyse“ auf der Handlungsebene konkretisieren und an soziologische Rollenmodelle anschließen. Es wird von drei in der Frühen Neuzeit maßgeblichen idealtypischen Normensystemen ausgegangen, zwischen denen in der Frühen Neuzeit eine ausgeprägte Konkurrenz bestand: dem religiösen, dem gemeinwohlorientierten und dem sozialen. Da diese Normensysteme noch nicht eindeutig klar abgegrenzten Handlungsfeldern zugeordnet werden konnten, kam es in der Handlungspraxis zu vielfältigen Überlappungen. Die Akteure mussten dann von Fall zu Fall entscheiden, nach welchen Normen bzw. in welchen Rollen sie handelten. Das Lavieren zwischen den Anforderungen der verschiedenen Normensysteme zwang zu einem Verhalten, das aus heutiger Sicht oft als schwer durchschaubar und unaufrichtig wahrgenommen wird. Im fürstlichen Regierungshandeln kreuzten sich alle drei Normensysteme: als Herrscher und oberster Richter war der Fürst dem Gemeinwohl verpflichtet, musste jedoch ebenso dynastische Interessen verfolgen – denn Herrschaft war noch personaler Natur und über die Dynastie auch an soziale Normen gebunden. Und schließlich hatte ein Herrscher dafür Sorge zu tragen, dass seinen Untertanen der Weg zum Seelenheil offen blieb, mithin die Kirche zu fördern und falsche Lehren abzuwehren – gerade im Konfessionellen Zeitalter waren religiöse Angelegenheiten hochgradig politisiert und umgekehrt die Politik in hohem Maße religiös bzw. konfessionell bestimmt.

Welcher Norm oder Rolle ein Akteur im Fall von Normenkonkurrenz den Vorzug gab, sei es bewusst oder unbewusst, war das Ergebnis von Aushandlungsprozessen. Diese sind dann besonders gut nachzuvollziehen, wenn Akteure unter dem Druck ausgeprägter Normenkonkurrenz stehen und wenn weitere Faktoren des Zwangs einwirken, etwa die direkte Bedrohung durch Kriegshandlungen oder wirtschaftliche Not. Außerdem sind Fälle, in denen Akteure aus bestehenden Normensystemen ausscheren, von besonderem Interesse, weil damit Brüche und Schwächen im Normenhorizont einer Gesellschaft sichtbar werden. Aus diesen beiden Gründen erscheint eine Untersuchung des Lebens Johann Albrechts II. besonders lohnenswert. Denn er bekannte sich kurz nach seinem Regierungsantritt zum Calvinismus und vertrat diesen im Laufe der Zeit immer offensiver, womit einerseits die Frage nach den Ursachen seiner konfessionellen Orientierung zu stellen ist. Begründen konnte er sie nur als Gewissensentscheidung, mithin mit einer religiösen Norm. Andererseits sind die Folgen dieser Entscheidung und die Reaktionen auf sie zu untersuchen, zumal sie mit der Rolle des lutherischen Landesvaters und des Angehörigen einer dieser Konfession bereits in dritter Generation angehörenden Dynastie kollidierten. Tatsächlich stellte sich Johann Albrecht im ansonsten lutherischen Territorium Mecklenburgs konfessionell gegen seinen Schweriner Bruder wie gegen die Landstände, denen er zusichern musste, das Land bei der bestehenden Konfession zu belassen. Infolgedessen war er gezwungen, (innen)politisch gegen seine konfessionellen Überzeugungen zu handeln und vermochte auch nicht den Handlungserwartungen seiner Herkunftsfamilie zu genügen. Der religiösen Norm der Gewissensbefolgung standen also soziale (dynastische Solidarität) und gemeinwohlorientierte Normen (seine Rolle als Landesvater) entgegen. Auf der anderen Seite konnte er über die Wahl seiner Konfession einen Zugang zum grenzüberschreitenden Netzwerk calvinistischer Höfe im Reich wie Hessen-Kassel oder Anhalt-Bernburg erhalten. Von diesen Höfen stammten auch seine beiden Frauen Elisabeth bzw. Eleonore Marie. Die biographische Untersuchung Johann Albrechts II. bedeutet mithin die Analyse eines Paradefalls von Normenkonkurrenz. Der von Zeitgenossen als ambivalent beschriebene Charakter Johann Albrechts II., der einerseits als von seinen Räten abhängig und jähzornig, andererseits als schöngeistig und tief religiös beschrieben wird, soll nicht als individuelle Schwäche interpretiert werden, sondern als subjektiver Ausdruck eben jener Zeitumstände, die geprägt waren von vormoderner Normenkonkurrenz.

Das 17. Jahrhundert ist zudem eine wenig erforschte Epoche der mecklenburgischen Geschichte. Das Projekt soll somit auch eine landeshistorische Lücke schließen und die in der älteren Forschung oft vertretene These von der Zwangsläufigkeit des ungünstigen Ausgangs des Krieges für Mecklenburg kritisch hinterfragen. Zum anderen verfolgt das Forschungsvorhaben ein grundsätzliches theoretisches Anliegen, indem es das Konzept der Normenkonkurrenz empirisch überprüft. Archivalische Quellen zu diesem Vorhaben sind vor allem im Landeshauptarchiv Schwerin vorhanden, aber ebenso in den hessischen Archiven Darmstadt und Marburg und in Dessau in Sachsen-Anhalt. Ferner sind die Bestände in Kopenhagen und Stockholm heranzuziehen. Die dortigen Höfe standen vielfach mit den Mecklenburger Fürsten in Kontakt und waren durch die gemeinsame Einbindung in den Kulturraum Ostsee mindestens ebenso wichtige und leitende Akteure wie Kaiser und Reich.